Juristische E-Bücher auf "Buy me a coffee" unter "Extras" billiger zu finden

Buy Me A Coffee

Willkommen zu "Zivilrecht Verstehen"

Hier finden Sie zahlreiche Beiträge zum Zivilrecht, Zivilprozessrecht und gelegentlich zum Strafrecht. Viel Spaß beim Lesen!

Montag, 11. Mai 2015

Die eigene juristische Argumentation anhand des Beispiels der außerordentlichen Kündigung eines Fitnessstudio-Vertrags

In juristischen Foren findet man sehr oft die Frage, ob ein Mitglied, das einen Fitnessstudio-Vertrag über einen bestimmten Zeitraum abgeschlossen hat, diesen Vertrag vorzeitig und fristlos aus wichtigem Grund kündigen kann.  Vornehmlich geht es dabei um einen Umzug des Kunden.

Allzu oft wird dann in den Antworten pauschal ein erstinstanzliches Urteil genannt und die dort getroffene Entscheidung als allgemein verbindlich dargestellt.

Anhand des Beispiels der außerordentlichen Kündigung eines Fitnessstudio-Vertrags soll deshalb die eigene juristische Argumentation dargestellt werden.Dieses eher für die Praxis bedeutsame Problem eignet sich aber dennoch gut als Anschauungsmaterial für die in der Juristerei enorm wichtige eigene Argumentation, die eine Kernfähigkeit darstellt.  Insbesondere in Fällen, in denen es um das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ im Rahmen einer Kündigung geht, reicht das Zitat eines Urteils nicht aus, sondern hier müssen Studierende zeigen, dass sie verschiedene Interessen abwägen können und nicht lediglich auf den Tenor einer Entscheidung verweisen, wofür man in einer Klausur oder Hausarbeit kaum Punkte erhalten wird.

Die folgenden Ausführungen sollen deshalb weniger ein Plädoyer für die Anerkennung eines außerordentlichen Kündigungsgrundes in diesem speziellen Fall sein (obgleich ich meine Ansicht dazu nicht verhehlen will), als vielmehr die Bedeutung der Abwägung der Argumente und Begründung einer eigenen Ansicht in einer Prüfungsaufgabe in den Vordergrund stellen.

 

1. Rechtsnatur des Vertrags


Um die vorzeitige Beendigung des Vertrags prüfen zu können, muss vorab geklärt werden, um was für einen Vertrag es sich eigentlich handelt, wenn man sich über den Abschluss eines Fitnessstudio-Vertrags einigt.

 

Richtigerweise liegt hier wohl ein typengemischter Vertrag vor, der sich aus miet­ und dienstvertraglichen  Elementen zusammensetzt (Palandt-Weidenkaff, BGB, 71. Auflage, 2012, Einf. vor § 535, Rn. 36).  Denn neben der Gebrauchsgewährung der Geräte werden auch oft Trainingseinheiten mit einem im Studio angestellten Trainer vereinbart, woraus sich die dienstvertragliche Komponente ergeben kann.  Gleiches kann sich daraus ergeben, dass der Betreiber auch eine Einweisung des Kunden in den Gebrauch der Geräte, sowie eine Beratung und Beaufsichtigung schuldet.

 

Ein typengemischter Vertrag folgt dann nach der Absorptionstheorie den rechtlichen Regelungen des Schwerpunkts des Rechtsgeschäfts (BGH NJW 2010, 150), der hier sicherlich im mietvertraglichen Bereich liegt (konkret für den Fitnessstudio-Vertrag: OLG Brandenburg NJW-RR 2004, 273).

 

Aber auch nach der teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht, dass eine Lösung jeweils im Einzelfall anhand von Sinn und Zweck des Vertrages zu finden ist, sind bei der Auflösung des Vertrages die Regelungen des Vertragstyps heranzuziehen, die den Schwerpunkt bilden.  Auch hier wäre somit eine Anwendung des Mietrechts geboten, da es um eine Kündigung des Vertrags geht.

 

Jedenfalls aber für den Fall, dass keine Unterrichts- oder anderen Dienstleistungen des Studiobetreibers bestehen und der Vertrag nur die Nutzung der Geräte und Räumlichkeiten vorsieht, liegt nach dem Bundesgerichtshof ein reiner Gebrauchsüberlassungsvertrag vor (BGH NJW 2012, 1431, Rn. 19 ff.), der nach Mietrecht zu beurteilen ist.

 

Im Ergebnis wird man also hinsichtlich der Rechtsnatur oder zumindest bei der Beurteilung der Beendigung des Vertrags von der Anwendung des Mietrechts ausgehen müssen, sodass sich die Kündigung als spezialgesetzliche Regelung zu § 314 BGB nach § 543 BGB richtet.  Letztlich führen beide Vorschriften aber zur selben Abwägung, die im Folgenden durchzuführen ist.  Eine Beendigung des Vertrags nach der Störung der Geschäftsgrundlage soll dabei außer Betracht bleiben.

 

2. Außerordentliche Kündigung


Fraglich ist nun, ob das Mitglied den Vertrag außerordentlich und fristlos wegen des Vorliegens eines wichtigen Grundes kündigen kann.  Wenn man also von der Anwendung der mietvertraglichen Vorschriften ausgeht, richtet sich die Kündigung nach § 543 I1, 2 BGB, die einen solchen wichtigen Grund fordert.

Dieser ist gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

 

Zur Allgemeinbildung soll hier noch darauf hingewiesen werden, dass ein Dauerschuldverhältnis immer aus wichtigem Grund gekündigt werden kann.  Dieses Recht kann also auch nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen abbedungen werden (BGH NJW 1986, 3134).

 

Dazu gibt es bei der Kündigung aus gesundheitlichen Gründen (sofern dadurch eine Nutzung dauerhaft ausgeschlossen wird) bereits eine höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der das Mitglied vorzeitig kündigen darf und auch nicht verpflichtet ist, die konkrete Art und den Umfang der Krankheit dem Studiobetreiber nachzuweisen, wenn jedenfalls ein ärztliches Attest vorgelegt wird (BGH NJW 2012, 1431, Rn. 37 ff.).  Das soll hier nicht näher erörtert werden.

 

Hinsichtlich der Kündigung wegen eines Umzugs des Mitglieds gibt es allerdings (soweit ersichtlich) noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.  Entgegen den oft zu findenden Behauptungen handelt es sich auch hier um eine Abwägung der beiderseitigen Interessen im Einzelfall, sodass man jedenfalls in der Ausbildung nicht von einer „eindeutigen Rechtsprechung“ der erstinstanzlichen Gerichte reden und diese Entscheidungen ohne weitere Erörterung als Ersatz für eine Begründung anführen sollte.

 

Gerade Studenten lassen sich leicht dazu verleiten, solche absoluten Behauptungen aufzustellen, weil sie die eine oder andere Gerichtsentscheidung zu diesem Thema gelesen haben.  Es erscheint deshalb angebracht, darauf hinzuweisen, sich die jeweiligen Urteilsgründe genau anzusehen.  Dann wird man feststellen, dass die Gerichte regelmäßig betonen, dass es sich um eine reine Einzelfallentscheidung handelt, bei welcher alle Umstände dieses konkreten Einzelfalls berücksichtigt wurden.  In einer Klausur wäre also erst an dieser Stelle die größte Argumentationsarbeit zu leisten.  Wie man sich dann entscheidet, spielt keine Rolle.

 

In der Tat gibt es zum Vorliegen eines wichtigen Grundes in der neueren Zeit mehrere öffentlich nachlesbare Entscheidungen.  Dabei handelt es sich vorwiegend um amtsgerichtliche Urteile, die ein außerordentliches fristloses Kündigungsrecht bei einem Umzug des Mitglieds vom Grundsatz her verneinen.  In diesem Zusammenhang erfolgt dann regelmäßig eine Unterscheidung, in wessen Risikosphäre der Kündigungsgrund liegt.  Vielerorts wird der Umzug des Mitglieds mangels besonderer Umstände der Privatsphäre des Kunden zugeordnet, sodass kein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben sei, denn der Studiobetreiber habe darauf keine Einflussmöglichkeit.

 

Das Ergebnis mag sich begründen lassen.  So insbesondere, wenn das Mitglied schon bei Vertragsschluss wusste, dass es in Kürze in eine andere Stadt umziehen wird, da hier aufgrund des vorsätzlichen Verhaltens eine Fortsetzung des Vertrags zumutbar ist.  Dann dürften die Interessen des Studiobetreibers an dem Fortbestand des Vertrags regelmäßig diejenigen des Kunden an einer vorzeitigen Beendigung überwiegen.

Andererseits sind auch Fälle denkbar, in denen der Kunde aus nicht vorhersehbaren beruflichen Gründen in eine weit entfernte Stadt ziehen muss und der Studiobetreiber dort keine Fitnessräume zur Verfügung stellt.  Dann könnte das Ergebnis möglicherweise anders ausfallen.  Im Rahmen der Argumentation könnte neben anderen Kriterien Folgendes in einer Prüfungsaufgabe ausgeführt werden:

 

Die Gegner eines Kündigungsrechts zitieren hier immer wieder eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW-RR 2011, 916), nach der bei einem Wohnsitzwechsel bei Bestehen eines Festnetzvertrags ein außerordentliches Kündigungsrecht wegen der Risikosphäre des Kunden verneint wurde.  Dies sei sodann ohne weiteres auf den Fitness-Vertrag zu übertragen.

 

Das Gericht hat insofern entschieden (BGH NJW-RR 2011, 916, Rn. 12), „ … dass der Kunde, der einen längerfristigen Vertrag über die Erbringung einer Dienstleistung abschließt, grundsätzlich das Risiko trägt, diese aufgrund einer Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse nicht mehr nutzen zu können.  Dementsprechend stellt ein Umzug, etwa aus familiärer oder beruflicher Veranlassung, prinzipiell keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB dar (so für einen Telefonfestnetzvertrag LG München I ZGS 2008, 357, 360; a.A. AG Ulm BeckRS 2008, 22785). Die Gründe für einen solchen Wohnsitzwechsel des Dienstberechtigten liegen allein in dessen Sphäre und sind von dem Anbieter der Leistung nicht beeinflussbar.“

 

Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Fitness-Vertrag ist allerdings nicht ganz unproblematisch.

Zum einen vergleicht man hier zwei Situationen, die nicht unbedingt vergleichbar sind, denn bei einem Festnetzanschluss hat der Dienstleister bereits für diesen konkreten Kunden Leistungen erbracht, die sich erst nach einer längeren Laufzeit wieder amortisieren, während die Investitionen des Studiobetreibers durch Anschaffung der Geräte auch durch andere Kunden wieder ausgeglichen werden können und nicht auf eine bestimmte Person zugeschnitten sind.  Hier zeigt sich gerade der Unterschied, dass beim Festnetzanschluss die alleinige Nutzungsmöglichkeit eingeräumt, beim Fitness-Vertrag aber nur eine Mitbenutzung gewährt wird, also die Geräte sowieso angeschafft werden mussten und somit weiterhin gewinnbringend verwertet werden können.

Und zum anderen lässt sich vertreten, dass der Gesetzgeber (nach dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs) durch die Änderung des Telekommunikationsgesetzes (hier § 46 VIII 3 TKG, nunmehr § 60 TKG) gezeigt hat, dass er mit dem Urteil nicht einverstanden war und der Verbraucher in einer Umzugssituation grundsätzlich schutzwürdiger ist als der Anbieter.  Deshalb hat er ihm bei diesem Dauerschuldverhältnis ein Recht zur kurzfristigen Lösung vom Vertrag eingeräumt.  Dann lässt sich auch argumentieren, dass diese Schutzbedürftigkeit bei einem langfristig geschlossenen Fitnessvertrag nicht geringer zu bewerten ist, wenn der Kunde aus nachvollziehbaren Gründen an einen weit entfernt gelegenen Ort umziehen muss.

 

So gibt es denn auch eine abweichende Rechtsprechung zum Umzug, die dem Kunden des Studiobetreibers eine Kündigung aus wichtigem Grund zugesteht, wenn der Ehegatte des Kunden berufsbedingt in eine weit entfernte Stadt umziehen muss (AG München, Urteil v. 17.12.2008, Az. 212 C 15699/08).

Hier wäre der Verweis auf die Risikosphäre des Kunden zu einfach und zu oberflächlich, da der eine Ehegatte faktisch gezwungen ist, dem umziehenden Ehegatten zu folgen.  Er hat demnach nicht wirklich eine eigene Entscheidungsmöglichkeit bezüglich des Ortswechsels.  Auch der Bundesgerichtshof räumt ein, dass eine fristlose Kündigung in Ausnahmefällen möglich ist, wenn der Kündigungsgrund aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrührt (BGH NJW-RR 2011, 916, Rn. 9).

So kann beispielsweise selbst das Vorliegen einer Schwangerschaft ein Grund zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages sein (BGH NJW 2012, 1431, Rn. 38), was doch zweifelsfrei auch in den Risikobereich des Kunden fällt.  Man könnte deshalb bei einem zur Zeit des Vertragsschlusses nicht vorhersehbaren Umzug des Mitglieds einen solchen Ausnahmefall annehmen, bei dem dann eine krasse Äquivalenzstörung der vertraglichen Leistungen vorliegt, wenn der Kunde keine Möglichkeit mehr hat, die Leistung des Betreibers in Anspruch zu nehmen, da ihm die weitere Anreise nicht zumutbar ist.  Dann läge ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vor.

 

Auch wenn man sich den letztgenannten Ausführungen zum Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht anschließen will, kommt es bei der Erörterung dieses Umstands in einer Prüfungsaufgabe allein auf eine Darstellung und Abwägung der Argumente an und nicht auf die Anzahl der zitierten Gerichtsentscheidungen.  Selbst wenn die gefundene Lösung dann von der Musterlösung abweicht, wäre sie doch in einer Klausur/Hausarbeit deutlich höher zu bewerten, als die bloße Behauptung, die Gerichte lehnten generell ein Kündigungsrecht ab.



Hier sind weitere Artikel rund ums Lernen im Jurastudium


Jura im Urlaub

Das Lernen im Jurastudium

Lerntipps

Vom absurden Lernumfang im Jurastudium

Die Vorbereitung auf das 1. Juristische Staatsexamen anhand von Klassikern des BGH?

Systemverständnis oder Auswendiglernen?  Eine Stellungnahme anhand desRücktrittsfolgenrechts



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen