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Mittwoch, 6. Mai 2015

Die Problematik der sogenannten Erlassfalle

Die Problematik der sogenannten Erlassfalle durch einen Erlassvertrag anhand der Rechtsprechung des BGH zum Zivilrecht im Jurastudium
Wer beruflich mit dem Zivilrecht beschäftigt ist, hat sicherlich die mittlerweile schon einige Jahre zurückliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Problematik der Erlassfalle mitbekommen.  Aber auch der eine oder andere Student dürfte diesen Begriff bereits kennen.

Der Erlass ist ein Erfüllungssurrogat und führt zum Erlöschen des Schuldverhältnisses, wenn der Gläubiger dem Schuldner durch Vertrag die Schuld erlässt.  Dieser Vertrag soll nachfolgend rechtlich eingeordnet und in seiner Ausgestaltung als Erlassfalle näher beleuchtet werden.

1. Erfüllung


Nach der Vorschrift des § 362 I BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.  In einem Gutachten wäre in einem solchen Fall etwa der folgende Satz als eigener Punkt nach dem Entstehen des Anspruchs anzuführen:

„Der Anspruch des X könnte durch eine Erfüllung seitens des Y erloschen sein.“ 

Bei der Betrachtung der Norm ist zunächst festzustellen, dass der Wortlaut des Gesetzes an dieser Stelle einigermaßen verwirrend ist.  Denn es soll also das Schuldverhältnis und nicht etwa der Anspruch erlöschen.  Es geht dabei aber offensichtlich nur um das Schuldverhältnis im engeren Sinne, was gleichbedeutend mit dem Anspruch ist (Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Auflage, 2013, Überbl. v. § 362 Rn. 2).  Die Zahlung des Kaufpreises durch den Käufer oder des Werklohns durch den Besteller lässt das Schuldverhältnis im weiteren Sinn nicht erlöschen, es bleiben also durchaus noch andere Pflichten bestehen.

 

Neben dieser Erfüllung gibt es aber auch mehrere Erfüllungssurrogate, wie etwa Annahme an Erfüllungs statt und erfüllungshalber gem. § 364 I, II BGB oder die Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB oder die Hinterlegung gem. §§ 372 ff. BGB.  Sodann existiert auch ein Erfüllungssurrogat in der Form des Erlasses, welcher in der Vorschrift des § 397 BGB geregelt ist.

 

2. Erlass


Wie sich aus der Norm des § 397 BGB ergibt, kommt der Erlass durch einen Vertrag und nicht durch eine einseitige Erklärung zustande, wie man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte.  Wie bei anderen Verträgen auch sind somit die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) als Vertragsinhalt nötig, also die Vertragspartner, der Erlasswille und die zu erlassene Forderung müssen hinreichend bestimmt erklärt werden.

Ein solcher Erlass hat weitreichende Folgen und darf nicht leichtfertig angenommen werden.  Aus dem Sachverhalt muss sich deshalb zweifelsfrei ein Erlasswille ergeben, wobei strenge Anforderungen gestellt werden müssen (Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Aufl., 2013, § 397 Rn. 6).  Ein Erlass ist grundsätzlich nicht zu vermuten, und er ist im Zweifel eng auszulegen (BGH NJW 2006, 1511, 1512).

 

In der Praxis wird häufig eine Erklärung unter Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung gem. §  151 BGB vorliegen, was aber nicht dazu verleiten darf, dass man von einem einseitigen Forderungsverzicht ausgeht.  Es sind also immer Angebot und Annahme erforderlich.

 

Darüber hinaus stellt der Erlass ein Verfügungsgeschäft dar, denn er führt zum unmittelbaren Erlöschen der Forderung.  Auch hier tappt man wieder sehr schnell in die Falle, wenn man nicht zwischen dem Erlass als Verfügungsgeschäft und dem ihm zugrundeliegenden Rechtsgeschäft unterscheidet.  Es gilt also das berüchtigte Trennungsprinzip, das schon manchem Studenten in der Klausur „das Genick gebrochen hat“. 

Die Wirksamkeit dieser beiden Geschäfte ist grundsätzlich nicht voneinander abhängig (sogenanntes Abstraktionsprinzip).  Das zugrunde liegende Geschäft ist häufig eine Schenkung, sodass man also auch den Erlass einer Forderung schenkweise zuwenden kann.

Sollte der Erlass keinen Rechtsgrund haben, müsste diese befreiende Wirkung des Erfüllungssurrogats gem. § 812 I 1 1. Alt. BGB wieder herausgegeben werden, was praktisch durch Wiederbegründung der Forderung erfolgt.

 

Jetzt kommt endlich die Erlassfalle ins Spiel.  Dabei geht es darum, dass ein Schuldner eine bestimmte Summe an den Gläubiger zu zahlen hat.  Anstatt den gesamten Betrag zu zahlen, übersendet er aber etwa nur einen Scheck über einen Teilbetrag mit einem Begleitbrief, der den Hinweis enthält, dass er im Fall der Einlösung sämtliche zwischen ihm und dem Gläubiger bestehende Ansprüche als erloschen betrachten werde.  Eine Rückantwort sei deshalb nicht erforderlich.  Wenn der Gläubiger daraufhin den Scheck bei seiner Bank einlöst, kommt es zum Streit, ob die gesamte Forderung erloschen ist.

 

In dieser Situation muss man im Wege der Auslegung feststellen, ob ein Erlassvertrag vorliegt.  Das Angebot des Schuldners ist offenbar gegeben.  Fraglich ist nur die Annahme seitens des Gläubigers.

Nachdem der Schuldner in seinem Schreiben ausdrücklich auf den Zugang der Erklärung verzichtet hat, § 151 S. 1 BGB, wäre dennoch die unzweideutig erklärte Annahme des Gläubigers erforderlich.  Mangels Empfangsbedürftigkeit der Willensbetätigung ist bei der Auslegung somit nicht auf den Empfängerhorizont (§ 157 BGB) abzustellen, vielmehr kommt es darauf an, ob vom Standpunkt eines unbeteiligten objektiven Dritten aus das Verhalten des Angebotsempfängers aufgrund aller äußeren Indizien auf einen „wirklichen Annahmewillen“ (§ 133 BGB) schließen lässt (BGH NJW 2000, 276).

 

Diese Erklärung könnte der Gläubiger durch ein konkludentes Handeln abgegeben haben.  Insofern kommt das Einreichen des Schecks bei seiner Bank in Betracht.  Allerdings ist fraglich, ob bei einem äußerst geringen Teilbetrag auf den Willen geschlossen werden darf, dass der Anspruch durch eine Teilzahlung erloschen sein sollte.

 

Hier hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Anbietende bei einem Missverhältnis zwischen der Forderung und dem gezahlten Teilbetrag nicht von einer Annahme des Angebots bei Einlösen des Schecks ausgehen darf.  Das Gericht schreibt dazu (BGH NJW 2001, 2324, unter 2 c):

 

„Insoweit ist zu berücksichtigen, daß das im Mißverhältnis zwischen Gesamtforderung und Abfindungsangebot zu sehende Indiz gegen eine bewußte Betätigung des Annahmewillens (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1985 aaO S. 324) um so stärkeres Gewicht hat, je krasser dieses Mißverhältnis ist, und daß in gleichem Maße die Anforderungen an die Redlichkeit, die der Rechtsverkehr vom Angebotsempfänger im Hinblick auf die bestimmungsgemäße Verwendung des Schecks erwarten darf, bis hin zur Unbeachtlichkeit dieser Verwendungsbestimmung relativiert werden können, insbesondere vor dem Hintergrund, daß es zunächst der säumige Schuldner selbst ist, der sich nicht vertragstreu verhält.“

 

Etwas anderes könnte sich nur aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, wenn dem Abfindungsangebot etwa Vergleichsverhandlungen der Parteien vorausgegangen wären, sodass der Schuldner ein Einverständnis des Gläubigers mit diesem Vorgehen hätte annehmen dürfen.

 

Mit dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof dem unlauteren Vorgehen von so manchem Schuldner einen Riegel vorgeschoben.


Ich kann mich noch erinnern, dass wir in einem Zivilsenat am Oberlandesgericht Dresden einmal genau diese Situation zu entscheiden hatten, und zwar kurz vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs.  Wir hatten damals schon so geurteilt, wie es das höchste Zivilgericht nun auch getan hat.


Weiterführende Literatur:


Wer an einer gutachterlichen Lösung eines solchen Falls interessiert ist, kann dies in meinem eBook* zum Schuldrecht AT nachlesen:


Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht AT


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