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Samstag, 28. März 2015

Flucht in die Säumnis/Widerklage

Flucht in die Säumnis oder Widerklage im Zivilprozess, um der Zurückweisung als verspätet zu entkommen
Gegen Ende des Jurastudiums muss man sich zwangsläufig auch mit den Grundzügen Zivilprozessrechts vertraut machen.  Dabei handelt es sich nicht gerade um die beliebteste Materie im Zivilrecht.  Nachdem man sich aber im Referendariat sowieso vertieft damit beschäftigen muss, kann es nicht schaden, schon im Studium einige Kenntnisse zu erwerben.

Ein Standardproblem ist die Flucht in die Säumnis/Widerklage.

Begriffsdefinition


Gerade die Begriffe „Flucht in die Säumnis“ oder „Flucht in die Widerklage“ dürften einige Einsteiger bereits gehört haben, weshalb sie kurz erläutert werden sollen.

Zunächst ist hierzu ein wenig Grundwissen nötig, um die Problematik zu verstehen.  Im Zivilprozess bestehen mehrere Verfahrensgrundsätze, unter anderem das Prinzip der Prozessbeschleunigung, das nicht nur für das Gericht gilt, sondern auch für die Parteien.

 

So muss das Verfahren in angemessener Zeit erledigt werden und darf nicht übermäßig lang andauern.  Vom Grundsatz her soll der Prozess in einem Verhandlungstermin abgeschlossen werden.  Bei Verletzung der gerichtlichen Prozessförderungspflicht gibt es seit dem 03.12.2011 nunmehr sogar einen Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren nach §§ 198 ff. GVG.

 

Aber auch die Parteien treffen Prozessförderungspflichten.  Jede Partei hat in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht, § 282 I ZPO.  Bei einem Verstoß ist in der Praxis insbesondere die Präklusion nach §§ 296, 296a ZPO von großer Bedeutung, also die Zurückweisung des Vorbingens als verspätet, sodass es für die Entscheidung unberücksichtigt bleibt.

 

Beispiel: Die Klage des Klägers auf Zahlung von 1.000 € hat nach einer Beweisaufnahme Aussicht auf Erfolg.  Nunmehr will der Beklagte mit einer Gegenforderung in Höhe von 500 € aufrechnen, über die Beweis zu erheben wäre.  Das Gericht weist darauf hin, dass dieses Vorbringen verspätet ist.

 

Es gilt nach der herrschenden Meinung der absolute Verzögerungsbegriff, wonach eine Verzögerung des Rechtsstreits vorliegt, wenn der Prozess bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei einer Zurückweisung, es sei denn, die Verspätung ist eindeutig nicht kausal für die Verzögerung (BGH MDR 2005, 1366).  Nachdem in dem genannten Beispiel für das Vorliegen der Voraussetzungen der Aufrechnung eine Beweisaufnahme (etwa durch Vernehmung von Zeugen) nötig wäre, müsste ein neuer Termin anberaumt werden und der Prozess würde dadurch länger dauern.  Das Gericht würde deshalb diesen Vortrag als verspätet zurückweisen und ohne ihn entscheiden, weil die Verzögerung nicht genügend entschuldigt ist.  Natürlich gilt das nicht, wenn der Kläger die zur Aufrechnung gestellte Forderung gar nicht bestreitet, denn dann kann das Gericht sofort entscheiden.

 

1. Flucht in die Säumnis


Nun kann der Beklagte aber prozesstaktisch reagieren, indem er z.B. keine Anträge in der mündlichen Verhandlung stellt und ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt, gegen das er sodann Einspruch erheben und seine Aufrechnung mit entsprechendem Beweisangebot geltend machen kann.  In dem darauf folgenden Einspruchstermin nach § 341a ZPO könnte das Gericht dieses Vorbringen nicht als verspätet zurückweisen, da die angebotenen Zeugen noch rechtzeitig geladen werden könnten und somit keine Verzögerung mehr gegeben ist.  Die vom Beklagten zu tragenden Kosten der Säumnis (etwa die Kosten des Klägers für das Teilnehmen am Termin) sind im Vergleich zu den drohenden Folgen der Zurückweisung des Vorbringens zu vernachlässigen.

 

2. Flucht in die Widerklage


Der Beklagte könnte aber auch anders reagieren.  So wäre es möglich, dass er noch in der mündlichen Verhandlung gem. § 261 II ZPO eine Widerklage mit der Forderung erhebt, mit welcher er eigentlich aufrechnen will.  Er müsste also nur beantragen, dass der Kläger zur Zahlung einer bestimmten Summe verurteilt werden soll.  Als Angriffs- und Verteidigungsmittel ist die Widerklage nicht anzusehen, da sie den Angriff selbst darstellt; sie kann deshalb nie als verspätet zurückgewiesen werden.

 

Allerdings sollte der Beklagte seine Widerklage nur hilfsweise für den Fall erheben, dass die Klage begründet sein sollte, also seine Aufrechnung ohne Erflog bliebe.  Denn sollte das Gericht die Klage wegen der Aufrechnung als unbegründet ansehen, würde die unbedingt erhobene Widerklage abgewiesen, da die zugrunde liegende Forderung ja durch die Aufrechnung bereits erloschen ist.

 

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Hier sind weitere Artikel zum Zivilprozessrecht zu finden


Die Zulässigkeit der Klage im Zivilrecht

Zuständigkeitsstreitwert und Feststellungsklage

Die Wiedereinsetzung

Die Berufung gegen ein Versäumnisurteil

Bei der Anwendung von Präklusionsvorschriften im Zivilprozess ist größte Vorsicht geboten

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