Sollte man die Vorbereitung auf das 1. Juristische Staatsexamen anhand von Klassikern des BGH vornehmen?
Der Fragesteller geht also offenbar davon aus, dass es erforderlich sei, alle möglichen Entscheidungen dieses Gerichts durchzuarbeiten, denn ansonsten sei man möglicherweise nicht ordentlich auf die Prüfung vorbereitet. Dazu hat er mittlerweile auch schon die auf bestimmten Webseiten genannten Klassiker durchgesehen, braucht aber jetzt noch mehr Entscheidungen.In der Tat hat der Fragende darauf von einem anderen Mitglied des Forums eine ausführliche Antwort erhalten, die etliche Probleme aus dem Zivilrecht auflistet. Die Auflistung enthielt unter anderem derartige Stichworte:
„-
Abhandenkommen beim Besitzdiener
-
Scheingeheißerwerb (Hemdenfall)
-
Lehre vom Nebenbesitz
-
Reichweite des Akzessionsprinzips beim unentschuldigten Überbau
(Realteilungstheorie etc.)
-
Möglichkeit eines gutl. Zweiterwerbs der Vormerkung
-
Verjährung des Hilfsanspruchs aus § 888 BGB“
Dies ist nur ein Ausschnitt der Auflistung.
Nun stellt sich die Frage, ob dies wirklich der ideale Weg
ist, sich auf das Examen vorzubereiten, oder ob es sich nur um eine Scheinlösung
handelt, die einem nur das Gefühl vermittelt, gut vorbereitet zu sein.
Zunächst einmal ist es doch sehr fraglich, wann man eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs als „Klassiker“ bezeichnen kann. Wie sieht
eine solche Definition aus? Wer entscheidet, dass ein Urteil in diese Kategorie
fällt?
Vielleicht kann man sich daran orientieren, wie regelmäßig die
Entscheidung in der Ausbildung als Lernbeispiel herangezogen wird. Das könnte
ich noch am ehesten nachvollziehen. Oder eventuell kommt es auf die praktischen
Auswirkungen des Richterspruchs im richtigen Leben an?
Wenn es um die Häufigkeit der Besprechung eines Urteils an
den Universitäten geht, würden ja neuere Urteile ausscheiden, denn sie können
gerade mal innerhalb einer nur kurzen Zeit Eingang in die Juraausbildung
gefunden haben. Ein jahrelanges Wiederholen, sodass wirklich alle Studierenden
den Fall kennen, kann hier noch gar nicht stattgefunden haben.
Auch die praktischen Auswirkungen erscheinen mir als
Argument eher fragwürdig. So könnte man sicherlich das Urteil zur Behandlung
von Fitnessstudioverträgen und Corona (hier
zu finden) als enorm wichtig bezeichnen. Aber sind dort wirklich weltbewegende
juristische Ausführungen zu finden, welche die Jurisprudenz in eine neue
Richtung gebracht haben? Kann man einen ähnlichen Fall nur dann in einer
Prüfungsarbeit vertretbar lösen, wenn man die Argumentation des Gerichts zur
Unmöglichkeit und zum Wegfall der Geschäftsgrundlage kennt?
Sicherlich gibt es Entscheidungen (wie etwa die Trierer
Weinversteigerung oder dem Fall mit dem Toilettenpapier oder gar den Haakjöringsköd-Fall),
die man im Jurastudium auf jeden Fall kennen muss. Diese sind aber auch in
jedem Lehrbuch zu finden, das sich mit dem jeweiligen Problembereich
beschäftigt. Eine intensive Suche im Internet erscheint insoweit unnötig.
Es reicht meiner Ansicht nach vielmehr aus, wenn man sich
diese in der Zahl beschränkten alten Richtersprüche anschaut und dann keine
Suche nach neueren Klassikern unternimmt. Andernfalls wählt man schon den
falschen Ansatz zur Examensvorbereitung und verschwendet viel kostbare Zeit.
Wie man aus der kleinen Stichprobe der oben genannten Themenbereiche ersehen kann, wäre eine solche Auflistung völlig uferlos. Man müsste sehr viel Zeit investieren in die Suche.
Aber auch das Durcharbeiten würde enorm
aufwendig sein, denn aus dem Urteil selbst wird man nicht unbedingt darüber
aufgeklärt, wie denn so etwas in einem rechtlichen Gutachten in der Ausbildung
dargestellt werden müsste. Also wird man nach Besprechungen (oft von privaten
Repetitorien) suchen müssen, die den Stoff examenstypisch aufbereiten. Wer hat
so viel Zeit in der Examensvorbereitung?
Darüber hinaus werden Entscheidungen, die in der letzten
Zeit als recht wichtig angesehen wurden, in den Prüfungsarbeiten im Examen regelmäßig
abgewandelt und kommen zu einem anderen Ergebnis, sodass einem die Kenntnis eines bestimmen Urteils eher wenig nützt.
Denn hier besteht die Gefahr, dass man sich stur auf das gelernte Urteil beschränkt
und einen Sachverhalt mit Gewalt der dort gemachten Lösung zuführt. Dass dies
nicht erfolgreich sein kann, dürfte auf der Hand liegen.
Mein Vorschlag wäre eher der:
Man möge sich ein solides
Grundwissen zu allen Themen zulegen, die Gegenstand der Prüfung sein können.
Dann wendet man dieses Wissen praktisch an und nimmt insbesondere eine oft nötige
Argumentation für oder gegen eine bestimme Lösung vor. Es ist deutlich wichtiger
zu wissen, wie man Tatsachen und Argumente aus dem Sachverhalt verwertet, als dass
man irgendeine Gerichtsentscheidung reproduziert.
Wer sich in der Examensvorbereitung befindet, hat heutzutage
viele Möglichkeiten, sich einen kurzen Überblick über die neuesten
Entscheidungen der Gerichte zu verschaffen. Diese werden von zahlreichen
kommerziellen Repetitorien, aber auch in Ausbildungszeitschriften
examensgerecht aufbereitet. Das reicht nach meiner Ansicht völlig als Teil der
Vorbereitung auf die Prüfungen aus. Der Schwerpunkt des Lernens sollte darauf
aber nicht beruhen.
Wie sehen Sie das, liebe Leser/innen? Laufen Sie jeder neuen
Entscheidung nach oder beschränken Sie sich darauf, das Grundhandwerkszeug und
eine eigene juristische Argumentationstechnik zu erlernen?
Zum Lernen auf Prüfungen hier ein kurzes Video
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Vom absurden Lernumfang im Jurastudium
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