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Samstag, 6. Juni 2015

Teilnichtleistung und Teilschlechtleistung

Ein klassisches Problem bei der Abgrenzung des Allgemeinen vom Besonderen Schuldrecht stellt die Frage dar, wann ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich ist, wenn der Schuldner nur eine Teilleistung erbracht hat oder zwar vollständig geleistet, dies aber teilweise schlecht getan hat.  Der Klarheit halber sollen beide Fälle getrennt betrachtet werden.

1. Teilnichtleistung


Wenn der Käufer die vom Verkäufer nur teilweise übergebene Kaufsache annimmt, richtet sich der Rücktritt nach § 323 V 1 BGB.  Dann kann er hinsichtlich des noch ausstehenden Teils zurücktreten, aber in Bezug auf den ganzen Vertrag nur dann, wenn sein Interesse an der Teilleistung weggefallen ist.

 

An dieser Stelle ist in der Literatur umstritten, wie die Situation zu beurteilen ist, wenn eine sogenannte verdeckte Mankolieferung vorliegt, also wenn der Käufer unwissend eine zu geringe Menge annimmt.  Denn im Gewährleistungsrecht beim Kaufvertrag stellt seit der Schuldrechtsmodernisierung selbst die zu geringe Menge einen Sachmangel dar, § 434 III BGB.

Demgegenüber trennt das allgemeine Leistungsstörungsrecht scharf zwischen einer Teil- und einer Schlechtleistung.  Nach § 323 V 2 BGB wäre bei einer Schlechtleistung ein Rücktritt vom gesamten Vertrag schon unter der deutlich erleichterten Bedingung möglich, dass der Mangel nicht unerheblich ist, während bei einer Teilleistung ein sehr viel schwieriger darzulegender Interessewegfall gem. § 323 V 1 BGB nötig wäre.  Es kommt dann zu einem Konflikt zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Schuldrecht, bei dem zu klären ist, ob es sich nun um eine Teilleistung oder eine Schlechtleistung handelt.

 

Teilweise finden sich in der Literatur Stimmen, die in der Tat den Rücktritt in diesem Fall allein nach § 323 V 2 BGB beurteilen wollen.  Die Gleichstellung der Zuweniglieferung mit einem Mangel in § 434 III BGB müsse für das gesamte BGB gelten und einheitlich behandelt werden (Huber/Bach, Examens-Repetitorium besonderes SR 1, 3. Auflage, 2011, Rn. 158; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Auflage, 2009, Rn. 387).  In der Folge könne der Käufer vom ganzen Vertrag zurücktreten, wenn die noch ausstehende Menge nicht mehr nur unerheblich sei.

 

Demgegenüber will die wohl herrschende Ansicht in der juristischen Literatur die in § 434 III BGB geregelte Fiktion eines Mangels bei der Anwendung des § 323 BGB im allgemeinen Schuldrecht nicht vornehmen (Canaris JZ 2001, 499, 513; Lorenz NJW 2003, 3097, 3099; Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Auflage, § 323 Rn. 24).  Die Regelung in § 434 III BGB solle nur zu einer Beschränkung des Nacherfüllungsanspruchs durch das Gewährleistungsrecht führen und zudem eine Minderung des Kaufpreises erlauben.  Wollte man hier an der Gleichstellung von Zuweniglieferung und Mangel festhalten, würde ein wesentlicher Anwendungsbereich der Vorschrift des § 323 V 1 BGB abgeschnitten.  Es kommt also für einen Rücktritt vom gesamten Vertrag darauf an, ob das Interesse des Gläubigers an der Leistung insgesamt nicht mehr besteht.  Damit sind an einen gesamten Rücktritt deutlich höhere Anforderungen zu stellen.

 

Beispiel: Der Verkäufer sollte nach dem Vertrag 20 Artikel liefern, übergibt aber nur 15.  Nach der herrschenden Ansicht müsste der Käufer für einen Rücktritt hinsichtlich des gesamten Vertrags den Wegfall des Interesses an der Teilleistung darlegen, was deutlich schwieriger sein dürfte, als bloß eine erhebliche Mengenabweichung geltend zu machen, die im Übrigen vom Gesetz vermutet wird.

 

2. Teilschlechtleistung


Neben der oben behandelten Situation gibt es aber auch noch die Fallgruppe, in welcher umstritten ist, ob ein Käufer bei einer Teilschlechtleistung des Verkäufers einen Teilrücktritt gem. § 323 V 1 BGB nur hinsichtlich des mangelhaften Teils erklären kann.  Man könnte ihn hier eventuell lediglich auf eine Minderung nach § 441 BGB verweisen oder aber einen Rücktritt nur insgesamt unter der Einschränkung gem. § 323 V 2 BGB zulassen.

 

So argumentieren Teile der Literatur, dass die Minderung ein spezielleres Gestaltungsrecht sei und deshalb einen Teilrücktritt verdränge.  Denn der Gesetzgeber habe in der Schaffung der Minderung bei einer mangelhaften Kaufsache den Teilrücktritt speziell geregelt, sodass der Teilrücktritt nach § 323 BGB nicht möglich sei.  Nach dieser Ansicht wäre dann das Ergebnis denkbar, dass zwar kein Teilrücktritt zulässig ist, aber dennoch der mangelhafte Teil auf null gemindert werden könnte, sodass der Käufer letztlich wie bei einem Teilrücktritt stehen würde.  Eine Minderung mit vollständigem Wegfall des Kaufpreises bei Wertlosigkeit des mangelhaften Kaufgegenstands ist möglich, sodass der Käufer die Sache an den Verkäufer herausgeben muss (Palandt-Weidenkaff, BGB, 71. Auflage, § 441 Rn. 16).  Im Fall einer teilbaren Kaufsache müsste der Käufer dann nach § 346 I BGB analog diesen mangelhaften Teil an den Verkäufer herausgeben.

 

Nach einer anderen Ansicht in der Literatur sei immer nur ein Gesamtrücktritt möglich, der allerdings gem. § 323 V 2 BGB beschränkt sei (Jaensch, Grundzüge des bürgerlichen Rechts, 3. Aufl., 2012, Rn. 576 f.).  Also könne der Käufer bei einem erheblichen Mangel nur insgesamt vom Vertrag zurücktreten oder bei einem unerheblichen Mangel überhaupt nicht (OLG Celle ZGS 2004, 74).  Die teilweise Nichtleistung könne nicht wie die teilweise Schlechtleistung behandelt werden, weil ansonsten die Vorschrift des § 323 V 2 BGB ihres Anwendungsbereichs beraubt werde.  Im Gesetz sei bei der Schlechtleistung in § 323 V 2 BGB gerade keine Unterscheidung zwischen teilbaren und nicht teilbaren Leistungen vorgenommen worden.  Vielmehr sei bei einem unerheblichen Mangel ein Rücktrittsrecht insgesamt ausgeschlossen.

 

Letztlich wird von einer überzeugenden Meinung im Schrifttum ein Teilrücktritt zugelassen.  Sofern sich also aus dem Willen der Parteien bei Vertragsschluss ergibt, dass eine teilbare Leistung geschuldet ist, kann ein Teilrücktritt bei einem Mangel erfolgen (Lorenz NJW 2003, 3097, 3098; Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Auflage, § 323 Rn. 27).  Man müsse insoweit die Teilschlechtleistung mit der Teilnichtleistung gleichstellen, weshalb der Rücktritt hinsichtlich des mangelhaften Teils nach § 323 V 1 BGB bei Interessewegfall möglich sei.

 

Diese letzte Ansicht erscheint überzeugend.  Denn in der Tat ist die Situation für den Käufer dieselbe, wenn der Verkäufer bei vertraglich geschuldeten zehn Artikeln nur sieben mangelfreie und drei mangelhafte übergibt oder wenn er sogleich nur sieben Artikel verschafft.

 

Beispiel: Der Verkäufer soll insgesamt zehn Fässer Bier liefern.  In der ersten Lieferung von drei Fässern sind alle mangelhaft.  Die zweite Lieferung von sieben Fässern ist beanstandungslos.  Hier muss dem Käufer das Recht eingeräumt werden, von dem mangelhaften Teil des Vertrags zurückzutreten, wenn dieser gem. § 323 V 2 BGB erheblich ist, was angesichts der Menge hier bejaht werden kann.  Sofern er dann an dem eingeschränkten Leistungsaustausch von sieben mangelfreien Fässern nach § 323 V 1 BGB kein Interesse hat, kann er auch insgesamt vom Kaufvertrag zurücktreten.


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