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Dienstag, 17. November 2015

Die relative Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung

Die Nacherfüllung beim Kaufvertrag enthält eine Fülle an Problemen, von denen ich das Verweigerungsrecht des Verkäufers wegen relativer Unverhältnismäßigkeit kurz beleuchten will.

1. Wahlrecht


Wenn der Verkäufer eine mangelhafte Sache an den Käufer übergeben hat, kann Letzterer grundsätzlich eine Nacherfüllung verlangen.  Dabei hat der Käufer ein Wahlrecht hinsichtlich der Art der Nacherfüllung, § 439 I BGB:

 

Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.

 

Es bestehen also zwei Varianten der Nacherfüllung, nämlich die Nachbesserung, also die Reparatur der Sache, und die Nachlieferung, also die Neulieferung eines mangelfreien Kaufgegentands.  Dieses Wahlrecht betrifft aber nur die beiden Nacherfüllungsarten der Neulieferung und der Nachbesserung, nicht aber die Wahl, wie innerhalb der Nachbesserung die Reparatur technisch vollzogen wird, denn letztere Wahl steht allein dem Verkäufer zu.

Somit kann der Verkäufer entscheiden, ob die Nachbesserung dann so erfolgt, dass ein fehlerhaftes Teil der Kaufsache ersetzt oder lediglich repariert wird.  Auch bleibt es dem Verkäufer überlassen, ob er die Nachbesserung durch Einsendung an den Hersteller oder selbst durch sein Personal reparieren lässt.  Bei einer Einsendung an den Hersteller muss der Verkäufer allerdings die Versendungskosten ersetzen.

 

Des Weiteren stehen die Nachlieferung und die Nachbesserung nach der herrschenden Ansicht in elektiver Konkurrenz.  Das bedeutet, dass der Käufer darüber entscheidet, welche Art er wählt und keine Bindung an diese Wahl besteht, falls etwa die von ihm verlangte Art der Nacherfüllung unmöglich wird.

 

Eine Übertragung dieses Wahlrechts auf den Verkäufer ist beim Verbrauchsgüterkauf nicht möglich, § 475 I BGB.  Außerhalb dieser Verträge könnte man der Ansicht sein, dass dies etwa bei einem Vertrag zwischen Unternehmern durch AGB möglich sei.  Allerdings hat der Verkäufer durch die Übergabe einer mangelhaften Sache seine vertraglichen Pflichten verletzt, sodass er nicht auch noch einen Schutz durch Ausübung des Wahlrechts erhalten soll.  Deshalb würde ich eine solche Vorgehensweise in AGB für unzulässig halten, da sie vom gesetzlichen Leitbild zu weit abweicht.

 

2. Relative Unverhältnismäßigkeit


Hinsichtlich seiner Wahl zwischen den Arten der Nacherfüllung muss sich der Käufer nicht um die Interessen des Verkäufers kümmern, sondern kann seine Entscheidung allein an seinen eigenen Interessen ausrichten.

Allerdings gibt es dazu enge Ausnahmefälle.  Zum einen gilt das für Fälle der Unmöglichkeit hinsichtlich der verlangten Art der Nacherfüllung.  Zum anderen hat der Verkäufer auch die Einrede der Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung, die er dann jedoch auch erheben muss, da ein Gericht diese nicht von Amts wegen prüfen würde.

 

Wenn der Käufer sein Wahlrecht ausgeübt hat, kann der Verkäufer die gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, falls sie für ihn unverhältnismäßig hohe Kosten nach sich zieht, § 439 III 1, 2 BGB.  Es geht hier um die relative Unverhältnismäßigkeit, wobei die absolute Unverhältnismäßigkeit außer Betracht bleiben soll.

 

Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3 verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte.

 

Dies ist eine Ausnahme von dem Wahlrecht des Käufers, sodass der Verkäufer die Unverhältnismäßigkeit beweisen muss, was die Situation des Käufers deutlich verbessert.

 

Nach dem Gesetz kommt es für die Ermittlung der Unverhältnismäßigkeit nach § 439 III 2 BGB vorwiegend auf den Wert der Sache an, die Bedeutung des Mangels und die Zumutbarkeit für den Käufer.  Allein die Tatsache, dass die vom Käufer verlangte Art der Nacherfüllung teurer ist, führt aber nicht per se dazu, dass der Verkäufer diese Art verweigern darf.

Überwiegend wird angenommen, dass die Kosten der beiden Nacherfüllungsalternativen zu vergleichen sind und eine Unzumutbarkeit dann besteht, wenn die Kosten der einen Alternative etwa um 10% über der anderen liegen.  Teilweise wird hier auch angenommen, dass das Vertretenmüssen des Verkäufers in diesem Rahmen zu berücksichtigen sei.  Absolute Grenzen gibt es hier allerdings nicht, es kommt vielmehr immer auf eine Abwägung im Einzelfall an.

 

Wenn der Käufer eine Ersatzlieferung verlangt, steht dem Verkäufer somit prinzipiell ein Verweigerungsrecht zu, falls der Mangel unbedeutend ist und ohne größere Nachteile für den Käufer durch eine einfache Nachbesserung behoben werden kann.

Sofern also eine hochwertige Kaufsache übergeben worden ist, kann der Käufer bei kleineren Mängeln keine Neulieferung verlangen, es kommt dann regelmäßig nur eine Reparatur in Betracht.  Eine Ersatzlieferung ist dagegen regelmäßig geboten, wenn es sich um eine Massenware handelt, bei welcher die Reparatur sicherlich höhere Kosten nach sich ziehen würde als eine Neulieferung.

 

Beispiel: Wenn sich der Wert der Kaufsache in mangelfreiem Zustand auf 200 € und in mangelbehaftetem Zustand auf 150 € beläuft, ist ein mangelbedingter Minderwert in Höhe von 50 € gegeben.  Sofern eine Reparatur 40 € kosten würde und durch die Übergabe einer neuen Sache nun Kosten für den Verkäufer in Höhe von 220 € entstehen würden, könnte der Verkäufer die Nachlieferung verweigern.  Denn bei der Neulieferung erlangt der Verkäufer gem. §§ 439 IV, 346 I BGB die mangelhafte Sache zurück, wodurch seinem Vermögen wieder 150 € zufließen.  Nach Abzug der 150 € von den 220 € für die Neulieferung beläuft sich der Kostenaufwand für den Verkäufer auf 70 €.  Hinsichtlich der Mängelbeseitigung durch eine Reparatur würden jedoch nur Kosten in Höhe von 40 € verursacht.  Daraus ergibt sich, dass die Kosten für die Neulieferung im Vergleich zur Nachbesserung weit über 10% höher sind.

 

Selbst wenn aber die vorgenannte prozentuale Grenze überschritten ist, kann ein Verweigerungsrecht dennoch nicht bestehen, wenn dadurch erhebliche Nachteile für den Käufer entstünden, § 439 III 2 BGB.  Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Käufer lange Zeit während der Reparatur auf einen mangelfreien Kaufgegenstand verzichten müsste, ohne dass ihm ein Ersatz für diesen Zeitraum angeboten wird.  Das wäre etwa der Fall, wenn der Verkäufer die gelieferte Couchgarnitur für 12 Wochen reparieren lassen will, ohne dem Käufer für diese Zeit eine Ersatzgarnitur zur Verfügung zu stellen.

 

Letztlich sind unter Umständen auch immaterielle Interessen des Käufers zu berücksichtigen, sodass es nicht allein auf eine mathematische Formel ankommt.



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