Die Anfechtung seitens des Bürgen.
1. Vertrag
Zunächst ist festzuhalten, dass die Bürgschaft durch einen Vertrag zustande kommt, also nicht bloß durch eine einseitige Erklärung des Bürgen. Es handelt sich insoweit um einen einseitig verpflichtenden Vertrag, bei dem Angebot und Annahme erforderlich sind.
Des Weiteren ist die Schriftform gem. §§ 766 S. 1, 126 BGB zu beachten, aber natürlich nur hinsichtlich der Erklärung des Bürgen, nicht in Bezug auf die Willenserklärung des Gläubigers, wobei aber auch eine Heilung nach § 766 S. 3 BGB möglich ist.
Ausnahmen von der
Schriftform finden sich etwa im Handelsrecht gem. § 350 HGB für den Kaufmann, wenn
die Bürgschaft im Rahmen seines Handelsgeschäfts erklärt wird.
2. Anfechtungsgründe
a) Eigenschaftsirrtum
Oft findet sich in Prüfungsarbeiten die Schilderung, dass der Bürge sich zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Willenserklärung in einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person des Hauptschuldners befunden habe, weshalb er die Anfechtung nach § 119 II BGB erkläre.
Sofern es um die Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners geht, ist durchaus eine verkehrswesentliche Eigenschaft gegeben. Einhellig wird jedoch die Anfechtung wegen dieses Irrtums abgelehnt, denn es entspricht dem Wesen des Bürgschaftsvertrages, dass der Bürge dieses Risiko tragen und gerade die Ungewissheit hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners für den Gläubiger beseitigen soll.
Das kann
allerdings anders beurteilt werden, wenn es um sonstige wesentliche Eigenschaften des Hauptschuldners geht.
b) Erklärungsirrtum
Eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums gem. § 119 I 2. Alt. BGB ist jederzeit möglich, wenn der Bürge sich über ein Erklärungszeichen irrt.
Hier wäre in analoger Anwendung der Vorschrift nach herrschender Ansicht
auch eine Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins bei Abgabe einer in
objektiver Sicht als Bürgschaft auszulegenden Erklärung denkbar.
c) Inhaltsirrtum gemäß § 119 I 1. Alt. BGB
Auch eine Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums ist möglich. Häufig wird in Klausuren die Konstellation auftreten, dass der Bürge die Urkunde unterschreibt, ohne sie gelesen zu haben.
Hierzu gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH NJW 2002, 956,
957) Folgendes:
„Die
Beklagte hatte kein Anfechtungsrecht wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB.
Irrtum ist das unbewußte Auseinanderfallen von Wille und Erklärung (BGH, Urteil
vom 28. April 1971 - V ZR 201/68, LM § 119 BGB Nr. 21). Deshalb liegt
grundsätzlich kein Irrtum vor, wenn jemand eine Erklärung in dem Bewußtsein
abgibt, ihren Inhalt nicht zu kennen (Palandt/Heinrichs, BGB 61. Aufl. § 119
Rdn. 9). Wer eine Urkunde ungelesen unterschreibt, hat nur dann ein
Anfechtungsrecht, wenn er sich von deren Inhalt eine bestimmte, allerdings
unrichtige Vorstellung gemacht hat (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1994 - IX ZR
168/93, WM 1994, 2274, 2276). Gemessen hieran befand sich die Beklagte bei
Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde über deren Inhalt nicht im Irrtum. Ihrem
Vortrag zufolge hat sie die Urkunde ungelesen unterschrieben, ohne sich von
deren Inhalt eine bestimmte, unrichtige Vorstellung zu machen.“
Wer sich somit keinerlei
Vorstellungen über den Inhalt der Erklärung gemacht hat, der kann sich auch
nicht in rechtserheblicher Weise irren.
Das soll übrigens auch dann gelten, wenn ein Schriftstück von einer
Person unterzeichnet wird, welche der deutschen Sprache nicht mächtig ist
(Palandt-Sprau, BGB, 71. Auflage, 2012, § 766 Rn. 3).
d) Arglistige Täuschung
Weiter denkbar ist die Anfechtung wegen einer arglistigen Täuschung nach § 123 I 1. Alt. BGB.
Wenn der Gläubiger selbst den Bürgen täuscht, ist unproblematisch ein Anfechtungsrecht gegeben.
Der schwierigere Fall ist jedoch derjenige, bei dem der Hauptschuldner den Bürgen täuscht. Fraglich ist dann, ob der Hauptschuldner als Dritter iSd. § 123 II 1 BGB anzusehen ist. Falls ja, kann der Bürge dann anfechten, wenn der Gläubiger die Täuschung kannte oder kennen musste.
Auch hierzu hat sich der Bundesgerichtshof
(im Sinne der sogenannten Lagertheorie) geäußert (BGH NJW 2002, 956, 957):
„Ein
am Zustandekommen eines Vertrages Beteiligter ist nur dann nicht als Dritter
anzusehen, wenn sein Verhalten dem des Anfechtungsgegners gleichzusetzen ist.
Dies ist über den Bereich der gesetzlichen und rechtsgeschäftlichen Vertretung
hinaus bei einem vom Erklärungsempfänger beauftragten Verhandlungsführer oder
-gehilfen sowie bei einem Beteiligten, dessen Verhalten dem Erklärungsgegner
wegen besonders enger Beziehungen zwischen beiden oder wegen sonstiger
besonderer Umstände zuzurechnen ist, der Fall (BGH, Urteil vom 20. November
1995 - II ZR 209/94, WM 1996, 201, 203 m.w.Nachw.).“
In diesem Rahmen ist zu beachten, dass der Bürgschaftsvertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger zustande kommt. Man könnte hier leicht auf den Gedanken kommen, den Hauptschuldner als Vertrauensperson des Gläubigers zu sehen und ihn dessen Lager zuzuordnen.
Allerdings stehen diese beiden Parteien typischerweise auf verschiedenen
Seiten, sodass man kein solches Verhältnis annehmen darf. Es dient allein dem Interesse des
Hauptschuldners, einen Bürgen zu finden, da er ansonsten keinen Kredit vom
Gläubiger erhalten würde (Medicus/Petersen, BR, 25. Auflage, 2015, Rn.
149). Der Hauptschuldner ist somit Dritter,
sodass es für das Anfechtungsrecht des Bürgen auf die Kenntnis oder das
Kennenmüssen des Gläubigers ankommt.
Hier sind weitere Artikel zum Anfechtungsrecht zu finden
Das Verhältnis von §
123 BGB zu § 138 BGB
Eigenschaftsirrtum
gem. § 119 II BGB und Irrtum über den Wert der Sache
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen