Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter gehört nicht gerade zur Lieblingsmaterie in der juristischen
Ausbildung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es an einer gesetzlichen
Regelung dieses Instituts fehlt und man sich zwangsläufig mit der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auseinandersetzen muss, denn dieser hat
die Kriterien für eine Haftung näher konkretisiert.
Hier geht es insbesondere um die Schutzbedürftigkeit beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
Nachfolgend
sollen deshalb kurz die einzelnen Tatbestandsmerkmale erörtert und insbesondere
der Punkt „Schutzbedürftigkeit“ anhand der Rechtsprechung vertieft werden.
Zunächst ist zum besseren Verständnis eine
kurze Abgrenzung erforderlich. Es erfolgt in solchen Fällen eine
Haftungserweiterung, was bei der Drittschadensliquidation nicht vorliegt, denn dort
findet nur eine zufällige Schadensverlagerung statt, wobei der aus dem
Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner entstandene Anspruch vom
Gläubiger geltend zu machen ist, der somit den Schaden des Dritten an sich
ziehen kann.
Bei der Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt es demgegenüber zu
einer Erweiterung des Haftungskreises, denn nun hat ein unbeteiligter Dritter
einen eigenen Anspruch gegen den Schuldner.
Es geht wohlgemerkt nur um einen
Schadensersatz und nicht um Primärleistungen, denn in Abgrenzung zum Vertrag
zugunsten Dritter entsteht gerade kein Anspruch des Dritten auf die vertraglich
geschuldete Leistung. Man prüft also einen eigenen vertraglichen bzw.
vorvertraglichen Schadensersatzanspruch des Dritten.
Wie bereits kurz angerissen, fehlt eine
gesetzliche Regelung dieser Materie. Man muss also auch im Gutachten am Anfang
der Lösung nach Nennung der Anspruchsgrundlage auf die Rechtsgrundlage für die Anwendung dieses Instituts hinweisen, welche umstritten ist.
Nach der überwiegenden Auffassung in der
Literatur ergibt sich die Rechtsgrundlage aus der richterlichen Fortbildung
dispositiven Rechts.
Wiederum andere Vertreter des Schrifttums gehen davon aus,
dass die Verankerung in der Vorschrift des § 311 III BGB zu sehen sei, da diese
Vorschrift nicht nur die Haftung von Sachwaltern umfasse, sondern auch die
Einbeziehung Dritter als Begünstigte umfasse.
Nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs
sei die Grundlage aus einer ergänzenden Vertragsauslegung abzuleiten.
Für das weitere Gutachten ist der Streit ohne
Auswirkungen, da insbesondere die Merkmale der Einbeziehung des Dritten nach
allen Meinungen identisch sind.
Man wird sich dann fragen können, warum dieses Rechtsinstitut entwickelt wurde. Die Antwort
lautet, dass die Schwächen des Deliktsrechts ausgeglichen werden sollten, wie
insbesondere die dort fehlende Beweislastumkehr (im Gegensatz zu § 280 I 2 BGB)
oder die Nichtanwendbarkeit der Vorschrift des § 278 S. 1 BGB.
Sodann ist die Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatz zu nennen. Ein Obersatz
könnte etwa bei einem Kaufvertrag so lauten:
„Der
D könnte gegen den V einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 I 1, 241 II, 433
I i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte haben.“
In der Folge müssen die Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
erörtert werden:
1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe des Dritten
Der Dritte muss zunächst den Gefahren einer Schlechtleistung
genauso ausgesetzt sein wie der Gläubiger selbst.
Diese Formulierung muss so
oder so ähnlich in der Niederschrift fallen, denn es handelt sich um ein
Kriterium, das der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entwickelt
hat.
2. Gläubigernähe des Dritten
Sodann muss der Gläubiger ein berechtigtes
Interesse am Schutz des Dritten haben, was bedeutet, dass der Schuldner auch dem
Dritten gegenüber seine Leistung sorgfältig, also ohne Verletzung von dessen
Rechten und Rechtsgütern erbringen muss.
Der in der älteren Rechtsprechung entwickelte
personenrechtliche Einschlag, wie z. B. in familien- oder arbeitsrechtlichen
Beziehungen, also bei Verantwortlichkeit für das Wohl und Wehe des Dritten,
gilt sehr wohl heute noch, wenn sich eine solche Situation im Fall ergibt.
Allerdings hat die neuere Rechtsprechung dieses
Kriterium erweitert. Danach kann ein Drittschutz auch dann gegeben sein, wenn
der Gläubiger an der Einbeziehung des Dritten ein besonderes Interesse hat.
Man
muss dabei den Vertrag so ausgelegen können, dass der Vertragsschutz auf den
Dritten erweitert werden soll, wobei der Parteiwille maßgeblich ist. Also kommt
es darauf an, ob der Dritte nach dem Willen der Parteien bestimmungsgemäß mit
der Leistung in Kontakt kommen soll.
3. Erkennbarkeit für den Schuldner zur Zeit des Vertragsschlusses
Die Erkennbarkeit der Leistungsnähe und des Einbeziehungsinteresses
muss des Weiteren für einen Anspruch gegeben sein. Der Kreis der Dritten, die
in den vertraglichen oder vorvertraglichen Schutzbereich einbezogen sind, muss
für den Schuldner objektiv erkennbar und eingrenzbar sein, wobei es darum geht,
dass der Kreis der Dritten abstrakt
überschaubar ist. Auf die konkrete Person
des Dritten und die Anzahl der so zu schützenden Dritten kommt es nicht an.
4. Schutzbedürftigkeit des Dritten
Als letzte Voraussetzung bedarf es einer Schutzbedürftigkeit
des Dritten. Eine solche liegt dann vor, wenn dem Dritten keine eigenen
vertraglichen bzw. vorvertraglichen Ansprüche gegen den Schädiger oder den
Gläubiger zustehen, die den gleichen oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt
haben wie der Anspruch, der über die Einbeziehung entstehen würde.
Nicht
ausreichend ist hingegen ein deliktischer Anspruch, denn die Schwäche des
Deliktsrechts soll ja gerade hier ausgeglichen werden.
Ob der Anspruch mangels
finanzieller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten möglicherweise von Anfang an
nicht durchsetzbar war, ist nach der Rechtsprechung übrigens rechtlich
unerheblich.
An dieser Stelle ist sodann eine neuere
Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2018, 1537) zu erörtern. Dort hat
das Gericht entschieden, wie bei einer Einbeziehung des Dritten in zwei
Schutzbereiche zu verfahren ist.
Im Wesentlichen lag ein Sachverhalt zugrunde,
in welchem ein Arbeiter A eines Bauunternehmers U verletzt wurde, als er
Abrissarbeiten vornahm. Der U wurde vom Besteller B mit den Arbeiten beauftragt,
wobei der B vorher durch den Gutachter G das abzureißende Haus auf etwaige Gefahren
prüfen ließ. Infolge eines Versehens untersuchte der G einen Raum nicht, in dem
sich eine Flüssigkeit befand, die den A bei den Arbeiten verletzte. Die Frage
war dann, ob der A vom G Schadensersatz verlangen konnte.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen, soll der
Leitsatz zitiert werden:
„Steht
den Arbeitnehmern eines Unternehmers nach den Grundsätzen eines Vertrags mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter ein Schadensersatzanspruch gegen den Besteller
einer Werkleistung zu, weil sie bei Ausführung der Arbeiten aufgrund einer
schuldhaften Verletzung auch ihnen gegenüber bestehender vertraglicher
Schutzpflichten durch den Besteller einen Schaden erleiden, scheidet ein
weiterer Schadensersatzanspruch nach den Grund-sätzen eines Vertrags mit
Schutzwirkung zugunsten Dritter gegen einen vom Besteller beauftragten Dritten,
der für die Schädigung mitverantwortlich ist und dessen Verschulden sich der
Besteller nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, grundsätzlich aus.“
Wie man sieht, geht der Bundesgerichtshof
davon aus, dass der A bereits einen Anspruch gegen den Auftraggeber B aus einem
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus dem Verhältnis zwischen dem U
und dem B hat, sodass er im Hinblick auf einen Schadensersatzanspruch gegen den
G nicht mehr schutzbedürftig ist. Der A kann also nicht frei wählen, auf
welchen Schutzbereich er seinen Anspruch stützen will.
Allerdings müsste man in einem Gutachten
zunächst einmal prüfen, ob der A nicht gegen seinen Arbeitgeber U vorgehen
könnte, bevor man sich auf das soeben genannte Ergebnis stürzt. Der U war dem A
aus dem Arbeitsverhältnis zur sorgfältigen Behandlung verpflichtet.
Ein
Schadensersatz gem. § 280 I BGB wäre insofern denkbar, als der U seine Sorgfaltspflicht
verletzt haben könnte. Worin aber soll diese Verletzung liegen?
Man wird ihm
angesichts der Einholung eines Gutachtens seitens des Bestellers nicht
abverlangen können, noch einmal das Gebäude auf Gefahren hin zu untersuchen.
Damit fehlt es an einem eigenen Verschulden, und eine Zurechnung des Verhaltens
von B oder G gem. § 278 S. 1 BGB kommt ebenso wenig in Betracht.
Erst nachdem
man dies festgestellt hat, kommt man zur Prüfung des Schutzbereichs aus dem
Verhältnis zwischen U und B. Dann kann man mit der Rechtsprechung den Anspruch
des A gegen den B (der sich das Verhalten des G nach § 278 S. 1 BGB zurechnen
lassen muss) bejahen und gegen den G letztlich wegen fehlender
Schutzbedürftigkeit ablehnen.
Um den Kreis zu schließen, könnte der B am Ende
gegen den G aus dem Werkvertrag zur Erstellung des Gutachtens wegen
Fehlerhaftigkeit auf Schadensersatz (Mangelfolgeschaden) vorgehen, sodass der G
als eigentlich Verantwortlicher den Schaden tragen muss. Überdies wird man aber
wohl einen deliktischen Anspruch des A gegen den G direkt zusprechen müssen,
obgleich das vom Bundesgerichtshof nicht entschieden werden musste, denn die
Sache wurde zu dieser Prüfung zurückverwiesen.
Weiterführende Literatur
Auch diese unbeliebte Materie kann man
meistern. Wer einen ausführlichen Überblick
über die beiden eingangs genannten Rechtsinstitute haben will, kann sich diesen
in meinem eBook* „Schutzwirkung für Dritte: Grundwissen für das juristische Staatsexamen“ verschaffen.
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