Juristische E-Bücher auf "Buy me a coffee" unter "Extras" billiger zu finden

Buy Me A Coffee

Willkommen zu "Zivilrecht Verstehen"

Hier finden Sie zahlreiche Beiträge zum Zivilrecht, Zivilprozessrecht und gelegentlich zum Strafrecht. Viel Spaß beim Lesen!

Samstag, 21. Juni 2025

Rücktritt vom Vertrag und Vertragsstrafe

 

Rücktritt vom Vertrag und Vertragsstrafe

Eine interessante Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24) zum Rücktritt vom Vertrag und der Vertragsstrafe bietet Anlass, sich einmal mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.


Der Leitsatz des Gerichts:


„Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.“


Sachverhalt:


Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe. Die Parteien schlossen einen notariellen Kaufvertrag über ein bebautes Grundstück mit Bauverpflichtung. Hiernach sollte die Beklagte für einen Nettokaufpreis von 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen.

Gemäß Ziffer 5.9. Abs. 1 des Vertrags hatte die Fertigstellung des Kaufgegenstands - mit Ausnahme der der Endabnahme nicht entgegenstehenden unwesentlichen Restarbeiten und Mängelbeseitigungen - spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen ("Fertigstellungstermin"). Ferner heißt es dort in Absatz 2: "Vom Verkäufer nicht zu vertretende Bauverzögerungen (zum Beispiel […]) führen zu einer Verschiebung des Fertigstellungstermins um die Dauer, die der Verkäufer an der Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung gehindert ist." Ziffer 6.8. lautet: "Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt." Nach Ziffer 18.2 des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war ("Longstop-Date"). Für die Kaufpreisfälligkeit sind nach Ziffern 4.1., 4.2. d) des Vertrags unter anderem eine Abnahme oder abnahmefähige Bauleistungen erforderlich. Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin von dem Vertrag zurück.


Entscheidungsgründe:


„1. Rechtsfehlerfrei und in der Revisionsinstanz auch nicht mehr in Frage gestellt geht das Berufungsgericht davon aus, dass die vertraglichen Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 vorlagen.

2. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen.

a) Das Berufungsgericht hat den Vertrag der Parteien dahin ausgelegt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß Ziffer 6.8. des Vertrags einen pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde und die Klägerin die Vertragsstrafe auch im Fall ihres Rücktritts nach Ziffer 18.2. des Vertrags beanspruchen könne. Diese Auslegung ist Angelegenheit des Tatrichters und durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar. Eine Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. November 2024 - VII ZR 245/23 Rn. 37, BauR 2025, 475 = NZBau 2025, 83). Derartige Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Solche werden von der Revision - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - auch nicht aufgezeigt. Entgegen der Auffassung der Revision ist für das Revisionsverfahren nicht zu Gunsten der Beklagten zu unterstellen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt mit der Folge, dass die vertraglichen Regelungen vom erkennenden Senat selbst ausgelegt werden könnten. Die Revision zeigt keinen Tatsachenvortrag der Parteien auf, nach dem die Tatbestandsvoraussetzungen von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen würden.

b) Es kann offenbleiben, ob das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts dahin zu verstehen ist, die Parteien hätten vertraglich vereinbart, ein Vertragsstrafenanspruch bestehe auch nach einem Rücktritt der Klägerin gemäß Ziffer 18.2. des Vertrags fort, oder ob es dahin zu verstehen ist, der Vertrag stehe dem Fortbestehen des Anspruchs (nur) nicht entgegen. Für Ersteres spräche die abschließende Formulierung des Berufungsgerichts, für Letzteres, dass das Berufungsgericht den Vertrag erst im Anschluss von und im Zusammenhang mit gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 325 BGB, auslegt.

aa) Im ersten Fall ist die Klage ohne Weiteres begründet. Zwingende gesetzliche Vorschriften zur Wirkung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts auf eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe bestehen nicht.

bb) Im zweiten Fall führt die Anwendung des dispositiven Rechts ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Rücktritt der Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen hat.

(1) Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine - wie hier - zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt (vgl. MünchKommBGB/ Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 49; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 84. Aufl., § 339 Rn. 13; Herberger in jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 339 Rn. 45 f.; BeckOK BGB/ Janoschek, Stand: 1. Februar 2025, § 339 Rn. 3; Staudinger/Rieble, 2020, BGB, § 339 Rn. 299, 306, 312, § 340 Rn. 61, 85).

(2) Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen (allgemeine Auffassung; vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. November 2007 - VIII ZR 16/07 Rn. 10, BGHZ 174, 290; MünchKommBGB/ Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 65, jeweils m.w.N.). Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln…

(3) Die weitere Systematik des Rücktrittsrechts bedingt ebenfalls kein Erlöschen des entstandenen Vertragsstrafenanspruchs. Es ergeben sich insbesondere keine Wertungswidersprüche zu den in § 346 Abs. 1, § 347 Abs. 1 BGB geregelten Ansprüchen wegen gezogener oder nicht gezogener Nutzungen aufgrund bereits empfangener und zurückzugewährender Leistungen. Das gilt im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts nur bis zu einer abnahmefähigen Bauleistung und damit in einem Zeitraum möglich war, in dem noch keine Nutzungen aus dem verkauften Grundstück und dem zu errichtenden Wohnhaus gezogen werden konnten.

(4) Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion) (vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. November 2015 - VII ZR 43/15 Rn. 33, BGHZ 207, 296; BeckOGK/Ulrici, Stand: 1. September 2021, § 339 Rn. 16 f.)…“

 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen