Eine interessante Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24) zum Rücktritt vom Vertrag und der Vertragsstrafe bietet Anlass, sich einmal mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.
Der Leitsatz des Gerichts:
„Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem
Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht
termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag
zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten
und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit
der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.“
Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung einer
Vertragsstrafe. Die Parteien schlossen einen notariellen
Kaufvertrag über ein bebautes Grundstück mit Bauverpflichtung. Hiernach sollte
die Beklagte für einen Nettokaufpreis von 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges
Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück
übereignen.
Gemäß Ziffer 5.9. Abs. 1 des Vertrags hatte die
Fertigstellung des Kaufgegenstands - mit Ausnahme der der Endabnahme nicht
entgegenstehenden unwesentlichen Restarbeiten und Mängelbeseitigungen -
spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen ("Fertigstellungstermin").
Ferner heißt es dort in Absatz 2: "Vom Verkäufer nicht zu vertretende
Bauverzögerungen (zum Beispiel […]) führen zu einer Verschiebung des
Fertigstellungstermins um die Dauer, die der Verkäufer an der Erfüllung seiner
vertraglichen Verpflichtung gehindert ist." Ziffer 6.8. lautet: "Kann
der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat,
nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR
1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt." Nach
Ziffer 18.2 des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein
Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022
nicht eingetreten war ("Longstop-Date"). Für die Kaufpreisfälligkeit
sind nach Ziffern 4.1., 4.2. d) des Vertrags unter anderem eine Abnahme oder
abnahmefähige Bauleistungen erforderlich. Das Bauvorhaben wurde nicht
abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die
Klägerin von dem Vertrag zurück.
Entscheidungsgründe:
„1. Rechtsfehlerfrei und in der Revisionsinstanz auch
nicht mehr in Frage gestellt geht das Berufungsgericht davon aus, dass die
vertraglichen Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin auf Zahlung einer
Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten
Höhe bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 vorlagen.
2. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin
erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen.
a) Das Berufungsgericht hat den Vertrag der Parteien
dahin ausgelegt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß
Ziffer 6.8. des Vertrags einen pauschalierten Ausgleich für
einen Verzugsschaden bilde und die Klägerin die Vertragsstrafe auch im Fall
ihres Rücktritts nach Ziffer 18.2. des Vertrags beanspruchen könne. Diese
Auslegung ist Angelegenheit des Tatrichters und durch das Revisionsgericht nur
eingeschränkt überprüfbar. Eine Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße
gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige
Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder die Auslegung auf
Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. November 2024
- VII ZR 245/23 Rn. 37, BauR 2025, 475 = NZBau 2025, 83). Derartige
Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Solche werden von der
Revision - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat - auch nicht aufgezeigt. Entgegen der Auffassung der Revision ist für das
Revisionsverfahren nicht zu Gunsten der Beklagten zu unterstellen, dass es sich
bei den Vertragsbestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt mit der
Folge, dass die vertraglichen Regelungen vom erkennenden Senat selbst ausgelegt
werden könnten. Die Revision zeigt keinen Tatsachenvortrag der Parteien auf,
nach dem die Tatbestandsvoraussetzungen von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen
würden.
b) Es kann offenbleiben, ob das Auslegungsergebnis des
Berufungsgerichts dahin zu verstehen ist, die Parteien hätten vertraglich
vereinbart, ein Vertragsstrafenanspruch bestehe auch nach einem Rücktritt der
Klägerin gemäß Ziffer 18.2. des Vertrags fort, oder ob es dahin zu verstehen
ist, der Vertrag stehe dem Fortbestehen des Anspruchs (nur) nicht entgegen. Für
Ersteres spräche die abschließende Formulierung des Berufungsgerichts, für
Letzteres, dass das Berufungsgericht den Vertrag erst im Anschluss von und im
Zusammenhang mit gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 325 BGB, auslegt.
aa) Im ersten Fall ist die Klage ohne Weiteres begründet.
Zwingende gesetzliche Vorschriften zur Wirkung eines vertraglich vereinbarten
Rücktrittsrechts auf eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe bestehen
nicht.
bb) Im zweiten Fall führt die Anwendung des dispositiven
Rechts ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Rücktritt der Klägerin ihren
Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen hat.
(1) Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346
ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen
eines Rücktritts in Bezug auf eine - wie hier - zum Zeitpunkt des Rücktritts
bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine
ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen
Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht
erlischt (vgl. MünchKommBGB/ Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 49;
Grüneberg/Grüneberg, BGB, 84. Aufl., § 339 Rn. 13; Herberger in jurisPK-BGB,
10. Aufl., § 339 Rn. 45 f.; BeckOK BGB/ Janoschek, Stand: 1. Februar 2025, §
339 Rn. 3; Staudinger/Rieble, 2020, BGB, § 339 Rn. 299, 306, 312, § 340 Rn. 61,
85).
(2) Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht
zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten
Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen
Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das
ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt,
wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen (allgemeine Auffassung; vgl.
etwa BGH, Urteil vom 28. November 2007 - VIII ZR 16/07 Rn. 10, BGHZ 174, 290;
MünchKommBGB/ Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 65, jeweils m.w.N.). Damit führt er
nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den
Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche
Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag
rückabzuwickeln…
(3) Die weitere Systematik des Rücktrittsrechts bedingt
ebenfalls kein Erlöschen des entstandenen Vertragsstrafenanspruchs. Es ergeben
sich insbesondere keine Wertungswidersprüche zu den in § 346 Abs. 1, § 347 Abs.
1 BGB geregelten Ansprüchen wegen gezogener oder nicht gezogener Nutzungen
aufgrund bereits empfangener und zurückzugewährender Leistungen. Das gilt im
vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Ausübung des vertraglichen
Rücktrittsrechts nur bis zu einer abnahmefähigen Bauleistung und damit in einem
Zeitraum möglich war, in dem noch keine Nutzungen aus dem verkauften Grundstück
und dem zu errichtenden Wohnhaus gezogen werden konnten.
(4) Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht
rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem
nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe
dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen
Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie
pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden
Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen
Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion)
(vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. November 2015 - VII ZR 43/15 Rn. 33, BGHZ 207,
296; BeckOGK/Ulrici, Stand: 1. September 2021, § 339 Rn. 16 f.)…“
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