Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass es in den Gesetzen verschiedene Vorschriften gibt, welche die Haftung des Schuldners auf die eigenübliche Sorgfalt (diligentia quam in suis rebus adhibere solet) beschränken, wie sie in § 277 BGB genannt wird.
Das bedeutet, dass der Schuldner also dann nicht haftet, wenn er die Sorgfalt beachtet hat, die er generell anzuwenden pflegt, es sei denn, es liegt ein Fall des groben Verschuldens vor.
Derartige
Haftungsmilderungen finden sich in den Vorschriften der § 708 BGB (Gesellschafter), § 1359 BGB
(Ehegatten), §
1664 BGB (Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes) oder etwa in § 4 LPartG
(Lebenspartner).
Hier
sind weitere Artikel zur Halterhaftung
zu finden
Explodierte
Batterie und § 7 I StVG
Halterhaftung
beim Kfz (§ 7 StVG)
Haftung
nach § 7 I StVG bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs, das abgestellt ist
Wenn also nun ein Sachverhalt gegeben ist, in welchem eines solche Haftungsmilderung in Betracht kommt, wird in vielen juristischen Büchern als nächstes erwähnt, dass es nach dem Bundesgerichtshof jedoch nicht zulässig sei, die Haftung auf die eigenübliche Sorgfalt zu reduzieren, da es sich um eine Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr gehandelt habe.
So pauschal lässt sich diese Behauptung aber nicht halten. Zwar geht das Gericht in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass im Straßenverkehr kein Raum für eine
individuelle Sorglosigkeit bestehe und deshalb eine Haftungsmilderung nach den
genannten Vorschriften nicht möglich sei (siehe etwa BGHZ 53, 352; BGH NJW
1973, 1654). In all diesen Fällen war
der Schuldner jedoch als Fahrer im Straßenverkehr tätig oder jedenfalls als
Führer eines motorisierten Boots (BGH NJW 2009, 1875). Wenn dies aber nicht der Fall ist, kann man
durchaus an eine Begrenzung der Haftung auf die eigenübliche Sorgfalt denken.
Richtig entschieden hat dies das Oberlandesgericht Bamberg (NJW 2012, 1820), das in einem solchen Fall, in welchem es nicht um das Führen eines Kraftfahrzeugs ging, eine Haftungsmilderung nach § 1664 BGB zugelassen hat.
Dort war die Mutter eines Kindes zu Fuß unterwegs und hatte an einer
Straßenüberquerung eine leichte Vorwärtsbewegung gemacht, die ihr Sohn als
Signal zum Überqueren der Straße auffasste, weshalb er losgelaufen und von
einem Fahrzeug erfasst wurde. Dann war
die Haftung der Mutter gegenüber ihrem Sohn aus §§ 823 I, II BGB, § 229 StGB
fraglich, da jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit angenommen wurde.
Das Oberlandesgericht hat
dazu darauf abgestellt, dass sich die Mutter zwar im Straßenverkehr befunden
habe, aber nicht als Führerin eines Kfz tätig gewesen sei, weshalb die
Ausnahmesituation zur Haftungsmilderung nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nicht vorgelegen habe:
Rn.
15: „Eine Haftung der Beklagten wegen ihrer fahrlässigen Vorwärtsbewegung
scheidet deshalb aus, weil ihr Verhalten nicht am Maßstab des § 276 BGB,
sondern an demjenigen der §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB zu messen ist, der nach
Ansicht des Senats in der vorliegenden Fallkonstellation anzuwenden ist.“
Rn.
17: „Der Senat schließt sich für die vorliegende Fallkonstellation der Ansicht
an, dass der Haftungsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB anzuwenden ist, jedenfalls
wenn wie hier die Eltern ihr Kind nicht als Kraftfahrer unter Verstoß gegen die
Verkehrsvorschriften schädigen.“
Als Fazit sollte man sich in einer Prüfungsarbeit deshalb hüten, diese allseits so pauschal gemachte Behauptung zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu übernehmen, denn nicht in jedem Fall ist ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung gegeben, welcher den Raum für individuelle Sorglosigkeit ausschließt.
Vielmehr muss man prüfen, ob in dem konkreten
Fall der Schuldner tatsächlich ein Kfz (bzw. Motorboot) geführt hat. Erst wenn der Bundesgerichtshof auch diese
exakte Fallgestaltung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung entscheidet (was
er meines Wissens nach bisher noch nicht getan hat), kann man sich der so weit
verbreiteten generellen Behauptung anschließen.
Bis zu einer solchen Entscheidung kommt man an einer Diskussion dieses
Problems allerdings nicht vorbei und muss jedenfalls überzeugende Argumente
anführen, wenn man eine Haftungsmilderung nicht zulassen will.
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