Es gibt manche Bereiche im Jurastudium, die über Jahrzehnte immer wieder in Prüfungsarbeiten problematisiert werden. Auch und gerade im Handelsrecht finden sich Klassiker, die man als Examenswissen im Jurastudium bezeichnen kann. Dazu gehören sicherlich die sich widersprechenden AGB im kaufmännischen Geschäftsverkehr.
Im nachfolgenden Abschnitt wird dieses auch in der Praxis sehr relevante Thema ausführlicher untersucht.
Dazu vorab ein kurzes Video
1. Ausgangssituation
Im kaufmännischen Geschäftsverkehr kommt es häufig vor,
dass ein Unternehmen K unter Beifügung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen
bei einem Unternehmen V eine Bestellung über die Lieferung einer Kaufsache
abgibt, wobei Letzteres dieses Angebot unter Hinweis auf seine eigenen
Allgemeinen Geschäftsbedingungen annimmt. Wenn sich nun diese AGB
widersprechen, entsteht ein häufig in Prüfungsarbeiten zu findendes
Problem, nämlich welche AGB Vertragsinhalt wurden.
a) Einbeziehung der AGB in den Vertrag
Zunächst ist festzuhalten, dass auch im kaufmännischen
Verkehr eine Einbeziehung der AGB nötig ist. Das ist jedoch gem. § 310 I BGB
einfacher möglich als bei Privatleuten. So reicht eine rechtsgeschäftliche
Einbeziehung nach §§ 145 ff. BGB.
Beispiel: Kaufmann V macht dem Kaufmann K unter
Hinweis auf seine AGB ein Angebot zum Verkauf einer Kaufsache, das Letzterer
unter Bezugnahme auf seine eigenen AGB annimmt, wobei sich die Regeln über die
Gefahrtragung nach den jeweiligen AGB der Parteien unterschiedlich gestalten
sollen. Der K wollte nur bei Eingang der Sache zahlen, während die AGB des V
eine Lieferung auf Gefahr des K regelten. Wenn nun die Kaufsache mit dem
Einverständnis des K abgesandt wurde und auf dem Transportweg zufällig
unterging, stellt sich die Frage, ob der V Zahlung des Kaufpreises vom K
verlangen kann.
b) Kein Dissens
Nachdem beide Vertragsparteien die Vertragsdurchführung
begonnen haben, kommt ein offener oder versteckter Dissens nach §§ 154, 155 BGB
und damit ein fehlender Vertragsschluss insgesamt nicht in Betracht. Denn beide
Vorschriften stellen lediglich Auslegungsregeln dar, die wegen eines
anderslautenden Willens der Parteien unanwendbar sind. Ein Vertragsschluss ist
also jedenfalls gegeben, nur ist nicht klar, mit welchem Inhalt.
2. Lösung des Problems
In der älteren
Rechtsprechung galt die Theorie
des letzten Wortes (BGHZ 18, 212, 215). Danach solle die Vorschrift des § 150 II BGB einschlägig sein,
weshalb die zuletzt verwendeten AGB zum Vertragsbestandteil geworden seien,
nicht aber die zuerst im Angebot verwendeten Klauseln. Es sei somit eine
Ablehnung des ursprünglichen Angebots und die Abgabe eines neuen Antrags
gegeben. Wenn nun die Parteien mit der Vertragsdurchführung
beginnen, indem der K etwa die ihm übersandte Kaufsache entgegennimmt, sei das
als eine konkludente Annahme des letzten Angebots zu werten. Praktisch bedeutet
das oft, dass die AGB des Verkäufers in den Vertrag einbezogen werden, denn
regelmäßig gibt der Käufer ein Angebot ab, das der Verkäufer abändert und
dieses wiederum vom Käufer angenommen wird.
Nach der heute
herrschenden Meinung in der Literatur und Rechtsprechung (so etwa BGH NJW 1991, 1604, 1606) gilt jedoch ein anderer Ansatz. Danach sind die AGB der
beiden Parteien nur insofern zum Vertragsinhalt geworden, als sie auch
übereinstimmen (Prinzip der
Kongruenzgeltung). Zwar weichen die AGB der beiden Vertragspartner in
einzelnen Punkten voneinander ab, sodass ein Dissens nach § 154 I BGB gegeben ist. Das
soll jedoch nach dem Rechtsgedanken des § 306 II BGB der Wirksamkeit des
Vertrags nicht entgegenstehen, wenn die Vertragsparteien einverständlich mit
der Durchführung des Vertrags begonnen haben. Soweit sich die AGB
widersprechen, gilt dann das dispositive
Gesetzesrecht gem. §306 I, II BGB analog.
Anwendung
im Beispiel: Da
der K seine AGB zuletzt gestellt hatte, wäre nach der Theorie des letzten
Wortes eine Annahme des abändernden Angebots durch den V in dem Beginn der
Durchführung des Vertrags durch Übersendung zu sehen. Nachdem die AGB des K die
Zahlung nur bei Eintreffen der Sache vorsahen, muss dieser den Kaufpreis nicht
zahlen.
Die
nunmehr herrschende Ansicht geht hinsichtlich der Gefahrtragung von einem
Dissens aus, sodass an die Stelle dieser Klausel die gesetzlichen Vorschriften
treten. Dann gilt hinsichtlich der Gefahrtragung der Grundsatz, dass eine
Schickschuld vorliegt und der K das Risiko des zufälligen Untergangs der Sache
beim Transport tragen muss, § 447 I BGB. Denn nach dieser Vorschrift wird das
Entfallen der Gegenleistung gem. § 326 I 1 BGB abgeändert.
Wenn sich die AGB der beiden Parteien in einem Punkt nur teilweise nicht widersprechen, geht
diese vertragliche Regelung dem dispositiven Gesetzesrecht allerdings vor. Hier
haben also beide Vertragspartner Einvernehmen erzielt, dass das dispositive
Gesetzesrecht nicht gelten soll, sie erlangen aber keine Einigkeit, in welchem
Umfang vom Gesetz abgewichen werden soll.
Beispiel: Wenn in den AGB des Verkäufers ein
Zahlungsziel von 30 Tagen bestimmt ist, während der Käufer ein solches von 60
Tagen in seinen AGB vorsieht, haben beide Parteien gezeigt, dass es nicht bei
der vom Gesetz vorgesehenen sofortigen Fälligkeit des Kaufpreises nach § 271 I BGB bleiben soll, sondern der Käufer mehr Zeit zur Zahlung haben soll. In
diesem Fall sind ihm dann (allerdings nach umstrittener Ansicht) jedenfalls die
30 Tage zuzugestehen, weil insofern eine Mindesteinigung vorlag, sodass sich
ein Rückgriff auf das Gesetz verbietet.
3. Unterschied Schuldrecht / Sachenrecht
a) Schuldrechtliche Ebene
Das Vorstehende bezieht sich auf die schuldrechtliche Ebene bei konkurrierenden AGB. Damit ist die gesamte
Thematik aber noch nicht erschöpft.
b) Sachenrechtliche Ebene
Zu beachten ist allerdings auch die sachenrechtliche Ebene. Wenn der V
also etwa in seinen AGB bei Abschluss des Kaufvertrags einen einfachen
Eigentumsvorbehalt vereinbaren möchte, der K hingegen in seinen AGB nur
unbedingt Eigentum erwerben will, wäre nach der herrschenden Ansicht auf das
dispositive Gesetzesrecht abzustellen, nach welchem ein Eigentumsvorbehalt nach
§ 449 I BGB besonders vereinbart werden müsste. Da dies nicht der Fall ist,
wurde der Kaufvertrag ohne Eigentumsvorbehalt abgeschlossen und der V müsste
unbedingt übereignen.
In sachenrechtlicher Hinsicht aber liegt insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur eine bedingte Übereignung vor, wenn der K die Kaufsache widerspruchslos entgegennimmt, denn er weiß, dass der V nicht bedingungslos übereignen wollte.
Dann liegt darin sein konkludentes Einverständnis zum bedingten Erwerb (BGHZ 104, 129, 136 ff.). In aller Regel will der K wenigstens das bedingte Eigentum erwerben und die Übereignung nicht generell scheitern lassen.
Nun hat der K zwar einen schuldrechtlichen Anspruch
auf unbedingte Übereignung, diesem kann der V jedoch die Einrede des § 320 I BGB entgegenhalten, bis der Kaufpreis bezahlt ist. Damit kann der V also
jedenfalls beim einfachen Eigentumsvorbehalt doch seine Interessen durchsetzen.
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