In der juristischen Ausbildung herrscht bei manchen
Studierenden teilweise Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob nichtige
Rechtsgeschäfte angefochten oder widerrufen werden können. Immer wieder liest
man in entsprechenden Gutachten oder in Foren im Internet die Aussage, dass ein
Kaufvertrag bereits aus einem anderen Grund nichtig sei, weshalb eine
Anfechtung oder ein Widerruf nicht mehr möglich seien.
Das ist freilich nicht richtig und soll im Folgenden näher betrachtet werden, zumal es sich um Examenswissen handelt, was alle Jurastudierenden haben sollten.
1. Anfechtung
Zunächst wird in der juristischen Literatur und der
Rechtsprechung allgemein angenommen, dass auch eine nichtige Willenserklärung
angefochten werden kann. Dies geht zurück auf die von Kipp entwickelte Theorie
der Doppelwirkung im Recht aus dem Jahr 1911.
So hat der Bundesgerichtshof zu diesem Thema auch schon
Entscheidungen gefällt:
Ein wegen Gesetzesverstoßes oder Sittenwidrigkeit gem. §§
134, 138 BGB nichtiges Rechtsgeschäft kann angefochten werden, was insbesondere
dann von Bedeutung sein kann, wenn der Anfechtende den Anfechtungsgrund in
einem Gerichtsprozess leichter beweisen kann als den Nichtigkeitsgrund, wenn
also ein prozessökonomischer Zweck gegeben ist (BGH NZM 2009, 864, Rn. 23).
Der Sinn hinter dieser Vorgehensweise lässt sich besser
anhand eines Beispiels verstehen:
Beispiel: Ein beschränkt Geschäftsfähiger G
übereignet eine ihm gehörende Sache an einen Käufer K, der ihn über eine
Eigenschaft der Sache arglistig getäuscht hat, sodass der G sie für ein
billiges Imitat hält, obwohl sie ein antikes Stück ist. Danach übereignet der K
die Sache an einen Dritten D, wobei der D von der Täuschung Kenntnis hatte,
aber nicht von der Minderjährigkeit des G. Die Eltern verweigern ihre
Zustimmung zu dem Geschäft. Nun fechten die Eltern des G dessen
Willenserklärung im Rahmen des schuldrechtlichen Geschäfts und der dinglichen
Einigung mit dem K an und verlangen im Namen des G die Herausgabe der Sache vom
D.
Wenn man die Lösung dieses Falls sorgfältig in kleinen
Schritten vornimmt, wird der oben angesprochene Sinn leicht verständlich:
Fraglich ist also der Anspruch des G gegen den D auf
Herausgabe nach § 985 BGB. Insbesondere vertragliche Ansprüche kommen hier nicht
in Betracht.
Insofern müsste der G noch Eigentümer der Sache sein,
wobei der D den Besitz ohne ein Recht zum Besitz innehaben müsste.
Hier war die Übereignung vom G an den K gem. § 929 S. 1 BGB zunächst nach §§ 108, 107 BGB schwebend unwirksam, denn sie war für den G
rechtlich nachteilig, da er das Eigentum an seiner Sache verloren hätte und
damit sein Rechtskreis verkleinert worden wäre. Eine vorherige Zustimmung des
gesetzlichen Vertreters (hier der Eltern des G) war nicht gegeben. Diese haben
auch ausdrücklich eine nachträgliche Genehmigung des Geschäfts verweigert,
weshalb es endgültig unwirksam wurde.
Es fragt sich nun, wie sich die Übereignung des K an den
D rechtlich darstellt.
Nachdem der D von der Minderjährigkeit des G keine
Kenntnis hatte, war er gutgläubig und könnte deshalb das Eigentum erworben
haben, §§ 929, 932 BGB. Im Normalfall wäre das Gutachten hier schnell am Ende
angelangt und es bestünde kein Herausgabeanspruch.
Allerdings hatten die Eltern des G für diesen die
Erklärung hinsichtlich der dinglichen Einigung mit dem K gem. § 123 I BGB
angefochten, sodass § 142 II BGB zur Anwendung kommt. Eine Anfechtung wegen
arglistiger Täuschung ist übrigens auch bei der dinglichen Einigung möglich,
sie schlägt also auf dieses Geschäft durch (Fehleridentität).
Danach wird derjenige, der die Anfechtbarkeit eines
Rechtsgeschäfts kennt, wie ein Bösgläubiger behandelt, wenn das Geschäft angefochten
wurde. An dieser Stelle also muss die Frage beantwortet werden, ob die bereits
unwirksame Übereignungserklärung des G an den K auch noch angefochten werden
kann. Allgemein wird das für zulässig gehalten, sodass der D nicht gutgläubig war
und deshalb die Sache an den G herausgeben muss.
Eine Anfechtung der bereits aufgrund eines Irrtums angefochtenen
Erklärung kann auch in einer anderen Konstellation wichtig sein. Wenn etwa ein
Kaufvertrag wegen der Anfechtung aufgrund eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 II BGB bereits unwirksam wurde, hätte der Anfechtende den Vertrauensschaden nach
§ 122 I BGB zu ersetzen. Wenn er in diesem Fall jedoch auch wegen einer
arglistigen Täuschung gem. § 123 I BGB anficht, wäre er insoweit nicht zum
Schadensersatz gem. § 122 I BGB verpflichtet, denn diese Vorschrift gilt nicht
für die Anfechtung bei einer arglistigen Täuschung.
2. Widerruf
Wenn man die Anfechtung eines nichtigen Rechtsgeschäfts
zulässt, stellt sich die Frage, ob dies auch für den verbraucherschützenden
Widerruf gelten soll.
Teilweise wurde dies in der Literatur verneint. Ein
Widerrufsrecht nach § 312d BGB (a.F.) setze einen wirksamen Fernabsatzvertrag
voraus, da man lediglich von einem wirksam geschlossenen Vertrag zurückgetreten
könne und es den dogmatischen Strukturen des Vertragsrechts entgegenstehe, wenn
auch nichtige Verträge nach den Rücktrittsvorschriften rückabgewickelt werden
könnten (Staudinger/Thüsing, BGB, 2005, § 312d Rn. 10; Bülow/Artz, Heidelberger
Kommentar zum Verbraucherkreditrecht, 6. Auflage, 2006, § 495 BGB Rn. 53).
Dem hat sich der Bundesgerichtshof in einer neueren
Entscheidung entgegengestellt (BGH NJW 2010, 610, Rn. 17 ff.). Der Verbraucher
habe vielmehr ein Wahlrecht, nach welchem er den Fernabsatzvertrag entweder
gem. §§ 312 d, 355 BGB a.F. widerrufen oder den Vertrag wegen Irrtums oder
arglistiger Täuschung gem. §§ 119 ff., 142 BGB anfechten könne. Ebenso seien
nichtige Verträge widerrufbar, da kein Grund ersichtlich sei, einen Verbraucher
bei einem nichtigen Fernabsatzvertrag schlechter zu stellen als bei einem
anfechtbaren Vertrag.
Man sollte sich in einer Prüfungsarbeit der Ansicht des Bundesgerichtshofs
anschließen. Aus dogmatischen Gründen bestehen bei der Anfechtung eines
nichtigen Geschäfts keine Bedenken, weshalb auch beim Widerruf dieselbe
Möglichkeit einer leichteren Lösung vom Vertrag gewährt werden muss.
3. Fazit
Die vorstehend aufgezeigte Problematik stellt sicherlich
ein sehr spezielles Thema dar, welches vielleicht am Anfang des Jurastudiums
noch nicht so von Bedeutung ist. Im Examen sollte man aber dieses Wissen haben,
denn damit kann man in einer Prüfung punkten. Insbesondere in der mündlichen
Prüfung im ersten Staatsexamen könnte man mit solchen Kenntnissen glänzen.
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Hier sind weitere Artikel zum Anfechtungsrecht zu finden
Verhältnis von § 123 BGB zu § 138 BGB
Eigenschaftsirrtum gem. § 119 II BGB und Irrtum über den
Wert der Sache
Die Anfechtung seitens des Bürgen
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