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Freitag, 3. November 2023

Nichtige Rechtsgeschäfte: Können sie wirklich angefochten oder widerrufen werden?

Nichtige Rechtsgeschäfte können angefochten und widerrufen werden

In der juristischen Ausbildung herrscht bei manchen Studierenden teilweise Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob nichtige Rechtsgeschäfte angefochten oder widerrufen werden können. Immer wieder liest man in entsprechenden Gutachten oder in Foren im Internet die Aussage, dass ein Kaufvertrag bereits aus einem anderen Grund nichtig sei, weshalb eine Anfechtung oder ein Widerruf nicht mehr möglich seien.

Das ist freilich nicht richtig und soll im Folgenden näher betrachtet werden, zumal es sich um Examenswissen handelt, was alle Jurastudierenden haben sollten.


1. Anfechtung

 

Zunächst wird in der juristischen Literatur und der Rechtsprechung allgemein angenommen, dass auch eine nichtige Willenserklärung angefochten werden kann. Dies geht zurück auf die von Kipp entwickelte Theorie der Doppelwirkung im Recht aus dem Jahr 1911.

So hat der Bundesgerichtshof zu diesem Thema auch schon Entscheidungen gefällt:

Ein wegen Gesetzesverstoßes oder Sittenwidrigkeit gem. §§ 134, 138 BGB nichtiges Rechtsgeschäft kann angefochten werden, was insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn der Anfechtende den Anfechtungsgrund in einem Gerichtsprozess leichter beweisen kann als den Nichtigkeitsgrund, wenn also ein prozessökonomischer Zweck gegeben ist (BGH NZM 2009, 864, Rn. 23).

 

Der Sinn hinter dieser Vorgehensweise lässt sich besser anhand eines Beispiels verstehen:

Beispiel: Ein beschränkt Geschäftsfähiger G übereignet eine ihm gehörende Sache an einen Käufer K, der ihn über eine Eigenschaft der Sache arglistig getäuscht hat, sodass der G sie für ein billiges Imitat hält, obwohl sie ein antikes Stück ist. Danach übereignet der K die Sache an einen Dritten D, wobei der D von der Täuschung Kenntnis hatte, aber nicht von der Minderjährigkeit des G. Die Eltern verweigern ihre Zustimmung zu dem Geschäft. Nun fechten die Eltern des G dessen Willenserklärung im Rahmen des schuldrechtlichen Geschäfts und der dinglichen Einigung mit dem K an und verlangen im Namen des G die Herausgabe der Sache vom D.

 

Wenn man die Lösung dieses Falls sorgfältig in kleinen Schritten vornimmt, wird der oben angesprochene Sinn leicht verständlich:

Fraglich ist also der Anspruch des G gegen den D auf Herausgabe nach § 985 BGB. Insbesondere vertragliche Ansprüche kommen hier nicht in Betracht.

Insofern müsste der G noch Eigentümer der Sache sein, wobei der D den Besitz ohne ein Recht zum Besitz innehaben müsste.

Hier war die Übereignung vom G an den K gem. § 929 S. 1 BGB zunächst nach §§ 108, 107 BGB schwebend unwirksam, denn sie war für den G rechtlich nachteilig, da er das Eigentum an seiner Sache verloren hätte und damit sein Rechtskreis verkleinert worden wäre. Eine vorherige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (hier der Eltern des G) war nicht gegeben. Diese haben auch ausdrücklich eine nachträgliche Genehmigung des Geschäfts verweigert, weshalb es endgültig unwirksam wurde.

Es fragt sich nun, wie sich die Übereignung des K an den D rechtlich darstellt.

Nachdem der D von der Minderjährigkeit des G keine Kenntnis hatte, war er gutgläubig und könnte deshalb das Eigentum erworben haben, §§ 929, 932 BGB. Im Normalfall wäre das Gutachten hier schnell am Ende angelangt und es bestünde kein Herausgabeanspruch.

Allerdings hatten die Eltern des G für diesen die Erklärung hinsichtlich der dinglichen Einigung mit dem K gem. § 123 I BGB angefochten, sodass § 142 II BGB zur Anwendung kommt. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist übrigens auch bei der dinglichen Einigung möglich, sie schlägt also auf dieses Geschäft durch (Fehleridentität).

Danach wird derjenige, der die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts kennt, wie ein Bösgläubiger behandelt, wenn das Geschäft angefochten wurde. An dieser Stelle also muss die Frage beantwortet werden, ob die bereits unwirksame Übereignungserklärung des G an den K auch noch angefochten werden kann. Allgemein wird das für zulässig gehalten, sodass der D nicht gutgläubig war und deshalb die Sache an den G herausgeben muss.

 

Eine Anfechtung der bereits aufgrund eines Irrtums angefochtenen Erklärung kann auch in einer anderen Konstellation wichtig sein. Wenn etwa ein Kaufvertrag wegen der Anfechtung aufgrund eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 II BGB bereits unwirksam wurde, hätte der Anfechtende den Vertrauensschaden nach § 122 I BGB zu ersetzen. Wenn er in diesem Fall jedoch auch wegen einer arglistigen Täuschung gem. § 123 I BGB anficht, wäre er insoweit nicht zum Schadensersatz gem. § 122 I BGB verpflichtet, denn diese Vorschrift gilt nicht für die Anfechtung bei einer arglistigen Täuschung.

 

2. Widerruf

 

Wenn man die Anfechtung eines nichtigen Rechtsgeschäfts zulässt, stellt sich die Frage, ob dies auch für den verbraucherschützenden Widerruf gelten soll.

 

Teilweise wurde dies in der Literatur verneint. Ein Widerrufsrecht nach § 312d BGB (a.F.) setze einen wirksamen Fernabsatzvertrag voraus, da man lediglich von einem wirksam geschlossenen Vertrag zurückgetreten könne und es den dogmatischen Strukturen des Vertragsrechts entgegenstehe, wenn auch nichtige Verträge nach den Rücktrittsvorschriften rückabgewickelt werden könnten (Staudinger/Thüsing, BGB, 2005, § 312d Rn. 10; Bülow/Artz, Heidelberger Kommentar zum Verbraucherkreditrecht, 6. Auflage, 2006, § 495 BGB Rn. 53).

 

Dem hat sich der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung entgegengestellt (BGH NJW 2010, 610, Rn. 17 ff.). Der Verbraucher habe vielmehr ein Wahlrecht, nach welchem er den Fernabsatzvertrag entweder gem. §§ 312 d, 355 BGB a.F. widerrufen oder den Vertrag wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung gem. §§ 119 ff., 142 BGB anfechten könne. Ebenso seien nichtige Verträge widerrufbar, da kein Grund ersichtlich sei, einen Verbraucher bei einem nichtigen Fernabsatzvertrag schlechter zu stellen als bei einem anfechtbaren Vertrag.

 

Man sollte sich in einer Prüfungsarbeit der Ansicht des Bundesgerichtshofs anschließen. Aus dogmatischen Gründen bestehen bei der Anfechtung eines nichtigen Geschäfts keine Bedenken, weshalb auch beim Widerruf dieselbe Möglichkeit einer leichteren Lösung vom Vertrag gewährt werden muss.

 

3. Fazit

 

Die vorstehend aufgezeigte Problematik stellt sicherlich ein sehr spezielles Thema dar, welches vielleicht am Anfang des Jurastudiums noch nicht so von Bedeutung ist. Im Examen sollte man aber dieses Wissen haben, denn damit kann man in einer Prüfung punkten. Insbesondere in der mündlichen Prüfung im ersten Staatsexamen könnte man mit solchen Kenntnissen glänzen.

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Klausuren zu nichtigen und anfechtbaren Willenserklärungen: Bewusste und unbewusste Willensmängel gem. §§ 116 ff. und §§ 119 ff. BGB


Hier sind weitere Artikel zum Anfechtungsrecht zu finden


Verhältnis von § 123 BGB zu § 138 BGB

Eigenschaftsirrtum gem. § 119 II BGB und Irrtum über den Wert der Sache

Die Anfechtung seitens des Bürgen

Anfechtung einer Vollmacht



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