Zunächst ist hierzu ein
wenig Grundwissen nötig, um die Problematik zu verstehen. Im Zivilprozess bestehen mehrere
Verfahrensgrundsätze, unter anderem das Prinzip der Prozessbeschleunigung, das
nicht nur für das Gericht gilt, sondern auch für die Parteien.
So muss das Verfahren in
angemessener Zeit erledigt werden und darf nicht übermäßig lang andauern. Vom Grundsatz her soll der Prozess in einem
Verhandlungstermin abgeschlossen werden.
Bei Verletzung der gerichtlichen Prozessförderungspflicht gibt es seit
dem 03.12.2011 nunmehr sogar einen Rechtsschutz bei überlangen
Gerichtsverfahren nach §§ 198 ff. GVG.
Aber auch die Parteien
treffen Prozessförderungspflichten. Jede
Partei hat in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und
Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen,
Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach
der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten
Prozessführung entspricht, § 282 I ZPO.
Bei einem Verstoß ist in der Praxis insbesondere die Präklusion nach §§
296, 296a ZPO von großer Bedeutung, also die Zurückweisung des Vorbingens als
verspätet, sodass es für die Entscheidung unberücksichtigt bleibt.
Beispiel: Die Klage des Klägers auf Zahlung von
1.000 € hat nach einer Beweisaufnahme Aussicht auf Erfolg. Nunmehr will der Beklagte mit einer
Gegenforderung in Höhe von 500 € aufrechnen, über die Beweis zu erheben wäre. Das Gericht weist darauf hin, dass dieses
Vorbringen verspätet ist.
Es
gilt nach der herrschenden Meinung der absolute Verzögerungsbegriff, wonach
eine Verzögerung des Rechtsstreits vorliegt, wenn der Prozess bei Zulassung des
verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei einer Zurückweisung, es sei
denn, die Verspätung ist eindeutig nicht kausal für die Verzögerung (BGH MDR
2005, 1366). Nachdem in dem genannten
Beispiel für das Vorliegen der Voraussetzungen der Aufrechnung eine Beweisaufnahme
(etwa durch Vernehmung von Zeugen) nötig wäre, müsste ein neuer Termin
anberaumt werden und der Prozess würde dadurch länger dauern. Das Gericht würde deshalb diesen Vortrag als
verspätet zurückweisen und ohne ihn entscheiden, weil die Verzögerung nicht
genügend entschuldigt ist. Natürlich
gilt das nicht, wenn der Kläger die zur Aufrechnung gestellte Forderung gar
nicht bestreitet, denn dann kann das Gericht sofort entscheiden.
1. Flucht in die Säumnis
Nun kann der Beklagte aber
prozesstaktisch reagieren, indem er z.B. keine Anträge in der mündlichen
Verhandlung stellt und ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt, gegen das
er sodann Einspruch erheben und seine Aufrechnung mit entsprechendem
Beweisangebot geltend machen kann. In
dem darauf folgenden Einspruchstermin nach § 341a ZPO könnte das Gericht dieses
Vorbringen nicht als verspätet zurückweisen, da die angebotenen Zeugen noch
rechtzeitig geladen werden könnten und somit keine Verzögerung mehr gegeben
ist. Die vom Beklagten zu tragenden
Kosten der Säumnis (etwa die Kosten des Klägers für das Teilnehmen am Termin)
sind im Vergleich zu den drohenden Folgen der Zurückweisung des Vorbringens zu
vernachlässigen.
2. Flucht in die Widerklage
Der Beklagte könnte aber
auch anders reagieren. So wäre es
möglich, dass er noch in der mündlichen Verhandlung gem. § 261 II ZPO eine
Widerklage mit der Forderung erhebt, mit welcher er eigentlich aufrechnen
will. Er müsste also nur beantragen,
dass der Kläger zur Zahlung einer bestimmten Summe verurteilt werden soll. Als Angriffs- und Verteidigungsmittel ist die
Widerklage nicht anzusehen, da sie den Angriff selbst darstellt; sie kann
deshalb nie als verspätet zurückgewiesen werden.
Allerdings sollte der
Beklagte seine Widerklage nur hilfsweise für den Fall erheben, dass die Klage begründet
sein sollte, also seine Aufrechnung ohne Erflog bliebe. Denn sollte das Gericht die Klage wegen der
Aufrechnung als unbegründet ansehen, würde die unbedingt erhobene Widerklage
abgewiesen, da die zugrunde liegende Forderung ja durch die Aufrechnung bereits
erloschen ist.
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