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Freitag, 1. Dezember 2023

Bei der Anwendung von Präklusionsvorschriften im Zivilprozess ist größte Vorsicht geboten

Ein ganz neuer Beschluss des Bundesgerichtshofs zeigt auf, wie gefährlich es für ein Gericht ist, sich auf eine Verspätung des Vorbringens im Zivilprozess zu berufen. Wer hier nämlich Fehler macht, wird die Akte bald wieder zur erneuten Bearbeitung auf dem Schreibtisch haben.

Die Materie ist für das erste juristische Staatsexamen nicht relevant, aber sie ist dennoch interessant für diejenigen, die einmal an einem Gericht arbeiten wollen.


Sachverhalt


Die Klägerin nimmt den Beklagten, einen Tierarzt, nach einer als fehlerhaft beanstandeten Ankaufuntersuchung auf Schadensersatz in Anspruch.

Vor Abschluss des Kaufvertrags beauftragte die Klägerin den Beklagten, eine Ankaufuntersuchung des Pferdes durchzuführen. Bestandteil dieser Untersuchung waren unter anderem Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule und des Genicks, die die Klägerin erbat, weil sie zuvor Probleme mit einem Pferd aufgrund von Befunden in diesem Bereich gehabt hatte. Nach der Untersuchung teilte der Beklagte der Klägerin mündlich mit, es hätten sich keine erheblichen Befunde ergeben.

Unter Bezugnahme auf die Röntgenaufnahmen des im Prozess eingeholten Sachverständigengutachtens trug die Klägerin vor, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie über die von dem Gerichtssachverständigen neu benannten Befunde aufzuklären. In diesem Fall hätte sie den Vertrag mit dem Verkäufer nicht geschlossen. Das begründe eine Schadensersatzverpflichtung des Beklagten.


Entscheidung des Landgerichts


Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Der Klägerin stünde kein Schadensersatzanspruch zu. Auf der Grundlage ihres Vortrags sei schon kein Schaden feststellbar.


Entscheidung des Berufungsgerichts


Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen den Beklagten verurteilt, wobei es den Vortrag des Beklagten zur Kausalität zwischen einer Pflichtverletzung im Rahmen der Ankaufuntersuchung und dem Kauf des Pferdes in der Berufungserwiderung für verspätet hielt.


Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof aufgehoben


„Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in offenkundig fehlerhafter Anwendung von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO das Vorbringen des Beklagten zur Kausalität zwischen einer Pflichtverletzung im Rahmen der Ankaufuntersuchung und dem Kauf des Pferdes in der Berufungserwiderung mit der Folge nicht berücksichtigt, dass es das Vorbringen der Klägerin zur Kausalität als unstreitig angesehen hat.

Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist...

Für das Landgericht V. war allein entscheidungserheblich, ob das Pferd über Mängel verfügte, die seine Eignung als Dressurpferd beeinträchtigten. Damit hat es ersichtlich auf Umstände abgestellt, die für auf dem Kaufvertrag zwischen der Klägerin und J. B. beruhende Mängelansprüche von Bedeutung waren. Demgegenüber war es für das Landgericht irrelevant, ob der Beklagte jenseits von kaufvertraglich relevanten Mängeln eine Pflicht aus der Ankaufuntersuchung verletzt hat und diese Pflichtverletzung für den Vertragsschluss der Klägerin mit J. B. kausal geworden ist. Der in der Berufungsinstanz gehaltene Vortrag des Beklagten zur Kausalität betraf deshalb einen Gesichtspunkt, der für das Landgericht V. unerheblich war…

Das Berufungsurteil beruht, soweit es den Beklagten zur Zahlung von 44.886,81 € nebst Zinsen verurteilt hat, auf der Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen hätte.“

 

In meinem Beitrag hier habe ich schon einmal darauf aufmerksam gemacht, wie problematisch es ist, als Richter/in ein verspätetes Vorbringen anzunehmen:

Das Richteramt als Traumberuf?


Hier sind weitere Artikel zum Zivilprozessrecht zu finden


Die Zulässigkeit der Klage im Zivilrecht

Zuständigkeitsstreitwert und Feststellungsklage

Die Wiedereinsetzung

Die Berufung gegen ein Versäumnisurteil



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