Ein Klassiker in
Prüfungsaufgaben ist die Problematik der gestörten Gesamtschuld. Ohne detaillierte Kenntnisse der Materie ist
eine ordentliche Lösung im Gutachten der Klausur oder Hausarbeit kaum zu schaffen.Wie man die gesamte Problematik in einem
Gutachten aufbaut und darstellt, habe ich im Fall Nr. 31 in meinem eBook* „Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht AT“ ausführlich aufgezeigt.
Hier will ich kurz die wesentlichen Eckpunkte festhalten:
Eine gestörte
Gesamtschuld ist bei mehreren schadensverursachenden Schuldnern zu diskutieren,
wenn die an sich gegebene gesamtschuldnerische Haftung nicht greift, weil ein Schuldner
wegen eines Haftungsprivilegs dem Geschädigten gegenüber nicht schadensersatzpflichtig
ist.
Standardsituation:
Immer wieder geht es in Prüfungen darum,
dass etwa ein Kind von einem Dritten verletzt wird und dabei auch ein
Verschulden des aufsichtspflichtigen Elternteils beim Schadenseintritt
mitgewirkt hat. Sedes materiae ist dabei
die Vorschrift des § 1664 I BGB, nach welcher die Eltern bei der Ausübung der
elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen haben,
die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Manche Studierenden wissen, dass dann
allerdings keine Haftungsmilderung mehr stattfindet, wenn eine grobe Fahrlässigkeit
gegeben ist, § 277 BGB.
Gesetzliche Haftungsmilderung:
In derartigen Fällen,
in denen eine gesetzliche
Haftungsmilderung (und nur um die soll es in diesem Beitrag gehen) in
Betracht kommt, ist der Anspruch des Kindes gegen den Elternteil aus § 823 I BGB oft nicht gegeben, da Letzterer zwar schuldhaft seine Aufsichtspflicht
verletzt hat, aber dabei eben die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten beachtet
und nicht grob fahrlässig gehandelt hat.
Wegen § 1664 I BGB scheidet somit ein Anspruch gegen den Elternteil aus.
Keine Haftungsmilderung beim Dritten:
Auf der anderen
Seite haftet der Dritte durchaus nach § 823 I BGB, denn für ihn besteht keine
Vorschrift, die eine Haftungsmilderung vorsieht.
Mitverschulden des Kinds:
Sodann wäre an ein Mitverschulden des Kinds
gem. § 254 I BGB zu denken, um eine Kürzung des Anspruchs vornehmen zu können. Allerdings ist das Kind regelmäßig nicht deliktsfähig,
weshalb die Vorschrift nicht einschlägig ist.
Zurechnung des Verschuldens der Eltern:
Anschließend muss des Weiteren erörtert werden, ob das Verschulden des
Elternteils nach §§ 254 II 2, 278 BGB zugerechnet werden kann (mit der gesamten
Problematik, ob sich die Vorschrift auch auf die Schadensentstehung bezieht).
Wenn man sich hier der herrschenden Ansicht anschließt,
dass ein Schuldverhältnis zwischen Geschädigtem und Schädiger bereits vor dem
Schadenseintritt bestanden haben muss, kommt man auch damit nicht zu einer Kürzung
des Anspruchs.
Verringerung des Anspruchs:
Endlich sind dann Ausführungen
zur Verringerung des Anspruchs wegen der Grundsätze der gestörten Gesamtschuld
zu machen.
Wenn die
Haftungsmilderung des § 1664 I BGB nicht bestehen würde, wären der Dritte und
der Elternteil als Gesamtschuldner dem Kind gegenüber verantwortlich, § 840 I BGB. Der dann gegebene Regressanspruch des Dritten
gegen den Elternteil nach § 426 BGB scheidet hier wegen der Haftungsmilderung allerdings
aus.
An dieser Stelle wären die
unterschiedlichen Ansichten in der Literatur und Rechtsprechung hinsichtlich
der Behandlung der Situation zu diskutieren.
Einerseits könnte man eine Kürzung des Anspruchs um den
Mitverschuldensanteil des Elternteils erwägen.
Nach anderer Meinung entstehe aber bei der gesetzlichen
Haftungsprivilegierung gerade kein Gesamtschuldverhältnis, weshalb auch keine Kürzung
vorzunehmen sei.
Letztlich wird auch
vertreten, dass keine Kürzung des Anspruchs durchgeführt werden könne, aber dann
eine Gesamtschuld fingiert werden müsse, nach welcher der Dritte vom Elternteil
gem. § 426 I BGB analog Rückgriff nehmen könne.
Entscheidung des Problems:
Wie man sich dann
letztlich bei der Lösung des Problems entscheidet, ist nicht wichtig. Vielmehr muss man überhaupt erkannt haben,
dass ein Fall vorliegt, der nach diesen Grundsätzen zu behandeln ist. Daran dürften schon recht viele Bearbeiter/innen scheitern.
Es lohnt sich also, die gestörte
Gesamtschuld einmal in Ruhe mit allen Argumenten der Rechtsprechung und
Literatur durchzuarbeiten, um für den Fall gewappnet zu sein, dass dieser
Klassiker abgeprüft werden sollte.
Dazu empfehle ich zudem mein eBook* "Die Gesamtschuld", in der die Probleme ausführlich erörtert sind.
Dazu empfehle ich zudem mein eBook* "Die Gesamtschuld", in der die Probleme ausführlich erörtert sind.
Hier sind weitere Artikel zum Schadensrecht zu finden
Mitverschulden
bei der Haftungsausfüllung, § 254 II 1 BGB
Dieselskandal
und Schadensrecht
Schadensminderungspflicht
und Kaskoversicherung
Schadensersatz
bei Verletzung des Anwartschaftsrechts
* Als Amazon-Partner verdiene ich an
qualifizierten Verkäufen.
Sehr geehrter Herr Blog-Betreiber,
AntwortenLöschenwas ändert sich denn bei der vertraglichen Haftungsprivilegierung? Werden Regresskreisel&Co iRd § 426 I, II (analog) BGB nicht genauso angewandt?
Für eine Antwort danke ich im Voraus
Abschließend möchte ich Sie wissen lasse, dass ich Ihren Blog aufmerksam verfolge und Ihre Ausführungen wirklich hilfreich und verständlich finde. Mit bestem Dank und Grüßen
Bei einer vertraglich vereinbarten Haftungsprivilegierung soll der Drittschädiger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voll haften und hat zudem einen Regress gegen den Privilegierten gem. § 426 I 1 BGB analog, was ja nach Ansicht des Gerichts bei der gesetzlichen Haftungsprivilegierung des § 1664 I BGB nicht der Fall sein soll. Denn die Haftungsmilderung des Privilegierten habe nur intern im Verhältnis zum Geschädigten Wirkung, nicht aber gegenüber dem Drittschädiger, weshalb Letzterem ein Ausgleichsanspruch gewährt werden müsse. Hier wird also nach der Rechtsprechung eine Gesamtschuld fingiert.
AntwortenLöschenAllerdings gibt es dazu in der Literatur überwiegend eine andere Ansicht, nämlich dass der Gläubiger von vornherein nur einen verringerten Anspruch erhält, damit der nichtprivilegierte Schädiger nicht das Insolvenzrisiko des privilegierten Schädigers tragen muss. Auch habe der Geschädigte selbst die Privilegierung bewirkt, sodass es gerecht sei, ihm konsequenterweise nur einen verringerten Anspruchs zu gewähren.
Vielen Dank für die freundlichen Worte.