Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung klargestellt, wie die Verteilung der Beweislast im Rahmen des Schadensersatzes
nach der Vorschrift des § 280 I BGB vorzunehmen ist.
Dabei handelt es sich nicht nur um ein in der Praxis wichtiges
Problem, sondern die Beweislast kann auch schon im ersten juristischen
Staatsexamen als Grundwissen vorausgesetzt werden.
Der Fall ähnelt dem Linoleumteppich-Fall des Reichsgerichts aus dem Jahr 1911, den alle Studierenden schon aus dem ersten Semester kennen sollten.
1. Sachverhalt
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen
eines Unfalls der Klägerin in einem Einrichtungshaus der Beklagten.
Die Klägerin betrat die Räumlichkeiten der Filiale der
Beklagten, um dort einzukaufen. In den Verkaufsräumen stürzte die Klägerin und
fiel auf die linke Seite, wobei der Grund zwischen den Parteien streitig ist.
Nach dem Sturz wurde der Klägerin eine Hüftendoprothese links implantiert.
Die Klägerin behauptet, sie sei im Erdgeschoss des
Einrichtungshauses vor dem Pflanzenbereich aufgrund einer auf dem Boden
liegenden Weintraube ausgerutscht und gestürzt. Die Beklagte habe
es versäumt, für eine hinreichende Reinigung des Sturzbereichs zu sorgen.
2. Entscheidung des BGH (Hervorhebung nur hier)
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht eine
Schadensersatzpflicht der Beklagten nach
§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB wegen der Verletzung
einer vorvertraglichen Schutzpflicht in Betracht gezogen. Die Klägerin hat das
Einrichtungshaus der Beklagten in Kaufabsicht betreten, sodass zwischen den
Parteien ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit den in § 241 Abs. 2 BGB
genannten Schutz- und Fürsorgepflichten bestand.
Die vorvertraglichen Schutzpflichten zielen im Streitfall
darauf ab, eine Verletzung der Klägerin möglichst zu vermeiden und dadurch ihr
Integritätsinteresse zu erhalten. Sie entsprechen mithin inhaltlich den
allgemeinen (deliktischen) Verkehrssicherungspflichten, so dass die dazu
entwickelten Grundsätze anwendbar sind.
Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des
Berufungsgerichts, die Klägerin müsse beweisen, dass die von der Beklagten
dargelegten und vom Berufungsgericht für ausreichend erachteten
Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung einer Verunreinigung des Fußbodens im
Unfallbereich nicht erfolgt seien. Das
Berufungsgericht verkennt insoweit die im Streitfall hinsichtlich der
objektiven Verletzung der der Beklagten gegenüber der Klägerin obliegenden
vorvertraglichen Schutzpflichten nach § 280 Abs. 1 BGB vorzunehmende
Beweislastverteilung.
Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB trägt allerdings der
Gläubiger grundsätzlich die Beweislast für die Pflichtverletzung, während der
Schuldner nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB beweisen muss, dass er die
Pflichtverletzung nicht im Sinne des § 276 BGB zu vertreten, also verschuldet
hat. Bestimmt sich der Inhalt der sich
aus dem Schuldverhältnis ergebenden (Verhaltens-)Pflicht - wie im Falle der
Verkehrssicherungspflicht - nach der unter Beobachtung der jeweiligen Umstände
verkehrserforderlichen Sorgfalt, überschneidet sich die Pflichtwidrigkeit gemäß
§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB jedoch mit dem Vertretenmüssen/Verschulden gemäß § 280
Abs. 1 Satz 2 BGB. Zum Verschulden gehört ein äußeres Fehlverhalten, im
Fall der Fahrlässigkeit der Verstoß des äußeren Verhaltens gegen die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB). Infolgedessen verliert die Regelung
des § 280 Abs. 1 BGB für diese Fälle ihre Eindeutigkeit.
Die
Beweislastverteilung wird in diesen Fällen somit durch die Unterscheidung
zwischen Pflichtverletzung
und Verschulden nicht definitiv bestimmt.
Nach
gefestigter Rechtsprechung muss der Schuldner darlegen und gegebenenfalls
beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft, wenn die für den Schaden in
Betracht kommenden Ursachen allein in seinem Gefahrenbereich liegen.
Nach diesen Grundsätzen hätte vorliegend die Beklagte
beweisen müssen, dass von ihr bzw. ihren Organen und besonderen Vertretern, für
die sie nach § 31 BGB einzustehen hat, die zur Vermeidung von Unfällen der
streitgegenständlichen Art erforderlichen Organisations- und
Überwachungsmaßnahmen getroffen worden sind und dass auch ihre
Erfüllungsgehilfen alle nach Lage der Sache erforderliche Sorgfalt bei der
Ausübung der ihnen übertragenen Pflichten beobachtet haben. Insoweit
verbleibende Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten.
Weiterführende Literatur
Wer den Linoleumteppich-Fall nicht kennt, kann eine neuere Version in Fall Nr. 24 in meinem eBook* "Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht AT" nachlesen:
Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht AT
Hier sind weitere Artikel zum Schadensrecht zu finden
Mitverschulden bei der Haftungsausfüllung, § 254 II 1 BGB
Dieselskandal und Schadensrecht
Schadensminderungspflicht und Kaskoversicherung
Schadensersatz bei Verletzung des Anwartschaftsrechts
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