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Mittwoch, 20. Dezember 2023

Linoleumteppich-Fall des Reichsgerichts reloaded: Gilt die Beweislastumkehr in § 280 I BGB auch bei der Pflichtverletzung?

 

Beweislastumkehr in § 280 I BGB

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung klargestellt, wie die Verteilung der Beweislast im Rahmen des Schadensersatzes nach der Vorschrift des § 280 I BGB vorzunehmen ist.

Dabei handelt es sich nicht nur um ein in der Praxis wichtiges Problem, sondern die Beweislast kann auch schon im ersten juristischen Staatsexamen als Grundwissen vorausgesetzt werden.

Der Fall ähnelt dem Linoleumteppich-Fall des Reichsgerichts aus dem Jahr 1911, den alle Studierenden schon aus dem ersten Semester kennen sollten.


1. Sachverhalt


Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen eines Unfalls der Klägerin in einem Einrichtungshaus der Beklagten.

Die Klägerin betrat die Räumlichkeiten der Filiale der Beklagten, um dort einzukaufen. In den Verkaufsräumen stürzte die Klägerin und fiel auf die linke Seite, wobei der Grund zwischen den Parteien streitig ist. Nach dem Sturz wurde der Klägerin eine Hüftendoprothese links implantiert.

Die Klägerin behauptet, sie sei im Erdgeschoss des Einrichtungshauses vor dem Pflanzenbereich aufgrund einer auf dem Boden liegenden Weintraube ausgerutscht und gestürzt. Die Beklagte habe es versäumt, für eine hinreichende Reinigung des Sturzbereichs zu sorgen.


2. Entscheidung des BGH (Hervorhebung nur hier)


Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Schutzpflicht in Betracht gezogen. Die Klägerin hat das Einrichtungshaus der Beklagten in Kaufabsicht betreten, sodass zwischen den Parteien ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit den in § 241 Abs. 2 BGB genannten Schutz- und Fürsorgepflichten bestand.

Die vorvertraglichen Schutzpflichten zielen im Streitfall darauf ab, eine Verletzung der Klägerin möglichst zu vermeiden und dadurch ihr Integritätsinteresse zu erhalten. Sie entsprechen mithin inhaltlich den allgemeinen (deliktischen) Verkehrssicherungspflichten, so dass die dazu entwickelten Grundsätze anwendbar sind.

Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse beweisen, dass die von der Beklagten dargelegten und vom Berufungsgericht für ausreichend erachteten Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung einer Verunreinigung des Fußbodens im Unfallbereich nicht erfolgt seien. Das Berufungsgericht verkennt insoweit die im Streitfall hinsichtlich der objektiven Verletzung der der Beklagten gegenüber der Klägerin obliegenden vorvertraglichen Schutzpflichten nach § 280 Abs. 1 BGB vorzunehmende Beweislastverteilung.

Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB trägt allerdings der Gläubiger grundsätzlich die Beweislast für die Pflichtverletzung, während der Schuldner nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB beweisen muss, dass er die Pflichtverletzung nicht im Sinne des § 276 BGB zu vertreten, also verschuldet hat. Bestimmt sich der Inhalt der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden (Verhaltens-)Pflicht - wie im Falle der Verkehrssicherungspflicht - nach der unter Beobachtung der jeweiligen Umstände verkehrserforderlichen Sorgfalt, überschneidet sich die Pflichtwidrigkeit gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB jedoch mit dem Vertretenmüssen/Verschulden gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zum Verschulden gehört ein äußeres Fehlverhalten, im Fall der Fahrlässigkeit der Verstoß des äußeren Verhaltens gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB). Infolgedessen verliert die Regelung des § 280 Abs. 1 BGB für diese Fälle ihre Eindeutigkeit.

Die Beweislastverteilung wird in diesen Fällen somit durch die Unterscheidung zwischen Pflichtverletzung und Verschulden nicht definitiv bestimmt.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Schuldner darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein in seinem Gefahrenbereich liegen.

Nach diesen Grundsätzen hätte vorliegend die Beklagte beweisen müssen, dass von ihr bzw. ihren Organen und besonderen Vertretern, für die sie nach § 31 BGB einzustehen hat, die zur Vermeidung von Unfällen der streitgegenständlichen Art erforderlichen Organisations- und Überwachungsmaßnahmen getroffen worden sind und dass auch ihre Erfüllungsgehilfen alle nach Lage der Sache erforderliche Sorgfalt bei der Ausübung der ihnen übertragenen Pflichten beobachtet haben. Insoweit verbleibende Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten.


Weiterführende Literatur


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Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht AT

 

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