Ganz am Anfang des Studiums der Rechtswissenschaft lernt man, dass eine empfangsbedürftige Willenserklärung zugehen muss, um wirksam zu sein. In der Theorie leuchtet das alles recht schnell ein. Die Probleme liegen aber dann im Detail, nämlich z.B. was denn konkret ein Zugang ist.
Wann liegt der Zugang einer Willenserklärung in der Form einer E-Mail vor?
Allgemeines zur Willenserklärung
Nachdem man gelernt hat, was eine Willenserklärung ist und wie sie abgegeben wird (mit der Unterscheidung zwischen nicht empfangsbedürftiger und empfangsbedürftiger Willenserklärung), hört man in der Vorlesung oder liest in Büchern Erläuterungen dazu, wie denn insbesondere ein Brief zugeht (oft geht es auch noch um ein Einschreiben).
Dabei wird dann erklärt, dass eine unter Abwesenden
abgegebene Willenserklärung spätestens in dem Moment zugeht, in dem sich der
Empfänger nach der Verkehrsanschauung üblicherweise und nicht nur durch Zufall
Kenntnis vom Inhalt einer in seinen Machtbereich gelangten Erklärung
verschaffen kann.
Hier finden sich zahlreiche Probleme, die man sich unbedingt
ansehen sollte, wie etwa wenn der Empfänger wegen urlaubsbedingter Abwesenheit
oder aus Krankheitsgründen an der tatsächlichen Kenntnisnahme gehindert war.
Regelmäßig findet man in Prüfungsarbeiten auch immer wieder Empfangsboten oder
Erklärungsboten, die bei der Übermittlung von Erklärungen eingeschaltet werden
(Einen weiteren Artikel zu diesem Themenbereich kann man hier finden: Der Zugang einer Willenserklärung und der Erklärungsbote).
Heutzutage ist die Situation mit dem Brief beinahe etwas
veraltet, denn im elektronischen Verkehr (insbesondere durch die E-Mail) kommen
Erklärungen sehr viel schneller an, weshalb der Brief an Bedeutung verloren
hat. Hinsichtlich dieser älteren Übermittlungsart ist dann auch
eigentlich alles in Sachen Zugang geklärt. Das ist ein Trost für die Klausur.
Viel interessantere (und auch in den Klausuren immer wieder eingebaute) Probleme beschäftigen sich mit elektronisch versandten Erklärungen, wie etwa mit der E-Mail, einer SMS oder Erklärungen in einem Chat.
Zwar ist
hier einiges noch im Fluss und man kann nicht in allen Fällen eindeutige
Aussagen machen. Jedenfalls in einem Teilbereich, der für das Studium äußerst
wichtig ist, gibt es nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung. Diese habe
ich bereits hier kurz angesprochen,
sie erscheint aber so wichtig, dass man sie noch einmal näher betrachten sollte.
Zugang im Geschäftsverkehr
Der Bundesgerichtshof hat in dieser neuen Entscheidung
klargestellt, wann denn eine E-Mail im Geschäftsverkehr
zugeht:
BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21:
„Wird
eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen
Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung
gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen.
Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für
den Zugang nicht erforderlich.“
Damit ist jedenfalls in einem kleinen Bereich Klarheit geschaffen worden. Das sollte man sich unbedingt merken, damit man hier in einer Klausur nicht auf die falsche Spur gerät.
Zugang im Privatverkehr
Wie es allerdings mit dem Zugang einer E-Mail im Privatverkehr aussieht, ist dadurch nicht gesagt worden. Man muss hier weiterhin spekulieren, was wohl Gerichte darüber denken. Auch in der Literatur findet sich kein einheitliches Bild. Insofern ist es schwierig, generelle Aussagen zu diesem Thema zu machen.
Wenn ich mir mein privates Umfeld ansehe, dann stelle ich fest, dass beinahe jeder in einer kurzen Pause (an der Bushaltestelle, auf der Parkbank, in der Warteschlange etc.) auf seinem Handy das Konto für E-Mails und seine SMS überprüft, und zwar auch am Abend. Ohne Handy trifft man kaum noch jemanden an.
Man könnte also vielleicht auch hier eine grobe Faustregel (ähnlich wie beim Brief) aufstellen, dass man gewöhnlich bis jedenfalls 18 Uhr seine elektronischen Nachrichten abruft. Demgegenüber kann man auch vertreten, dass die Erklärung immer erst am nächsten Tag zugeht. Insoweit müsste man in einer Prüfungsarbeit mit etwas Fingerspitzengefühl ermitteln, was denn der/die Aufgabensteller/in als „richtig“ ansieht.
Jedenfalls aber ist nunmehr Klarheit zum Geschäftsverkehr geschaffen worden, was sicherlich auch in Prüfungen Niederschlag finden wird. Höchstrichterliche Entscheidungen, die zu einem sehr wichtigen Thema Stellung nehmen, finden immer wieder Eingang in die Klausuren im ersten juristischen Staatsexamen.
Weiterführende Literatur
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Juristische Übungsfälle zum BGB AT
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