- Welche Anspruchsgrundlagen bestehen für das Begehren des Klägers?
- Welche
Schutzgesetze gibt
es im Straßenverkehr?
- Welchen konkreten Schaden kann der Geschädigte geltend machen?
- Wie haftet die Haftpflichtversicherung?
- Wie läuft der Gerichtsprozess ab?
Die Fragen sollen nun im Einzelnen beantwortet werden:
1. Welche Anspruchsgrundlagen bestehen für das Begehren des Klägers?
Im Bereich der unerlaubten Handlungen gibt es
verschiedene Anspruchsgrundlagen, die sich auch auf mehrere Gesetze verteilen
können.
Hier ist eine Unterscheidung zwischen der Verschuldens- und
Gefährdungshaftung im Zivilrecht zu
machen. Das hat Einfluss auf einen im Zivilprozess zu erbringenden Beweis der
Tatbestandsmerkmale einer Norm, die einen Schadensersatz gewährt.
Bei
der Verschuldenshaftung ist für einen Anspruch auf Schadensersatz ein Verschulden
des Schuldners nötig.
Unter
diese Kategorie fällt die Vorschrift des §823 I BGB. Sie sagt folgendes aus:
„Wer
vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich
verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens
verpflichtet.“
Wie
man aus dem Wortlaut entnehmen kann, setzt die Norm vorsätzliches oder
fahrlässiges Verhalten voraus, also ein Verschulden.
Dieses
Verschulden stellt eine anspruchsbegründende Tatsache dar, weshalb der
Anspruchsteller im Zivilprozess diesen Punkt beweisen müsste. In diesem Rahmen
existiert vom Grundsatz her keine Beweislastumkehr, wie das etwa im Allgemeinen
Schuldrecht in § 280 I 2 BGB der Fall wäre.
Des
Weiteren ist auch der Anspruch aus § 823 II BGB zu nennen, der folgenden Wortlaut hat:
„Die
gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines
anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein
Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht
nur im Falle des Verschuldens ein.“
Für
einen Anspruch ist somit die Verletzung eines Schutzgesetzes erforderlich,
wobei auch hier wieder ein Verschulden gegeben sein muss.
Bei
Verkehrsunfällen ist zudem eine Haftung des Fahrers nach § 18 StVG zu prüfen. Dabei handelt es sich aber um eine Haftung aus
vermutetem Verschulden, was sich aus der Formulierung des Gesetzes ergibt.
Deshalb müsste der Fahrer vor Gericht beweisen, dass ihn kein Schuldvorwurf an
dem Unfall trifft.
Hier
der Wortlaut der Vorschrift:
„In
den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs zum Ersatz des
Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht
ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers
verursacht ist.“
Eine
Besonderheit der Fahrerhaftung ist, dass im Gesetz Haftungshöchstgrenzen
verankert wurden, die sich in der Vorschrift des § 823 BGB nicht finden.
Siehe
dazu den Wortlaut der Norm des § 15 I StVG:
„Der
Ersatzpflichtige haftet
1.
im
Fall der Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Menschen durch dasselbe
Ereignis nur bis zu einem Betrag von insgesamt fünf Millionen Euro, bei
Verursachung des Schadens auf Grund der Verwendung einer hoch- oder
vollautomatisierten Fahrfunktion gemäß § 1a oder beim Betrieb einer autonomen
Fahrfunktion gemäß § 1e nur bis zu einem Betrag von insgesamt zehn Millionen
Euro; im Fall einer entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderung erhöht
sich für den ersatzpflichtigen Halter des befördernden Kraftfahrzeugs bei der
Tötung oder Verletzung von mehr als acht beförderten Personen dieser Betrag um
600 000 Euro für jede weitere getötete oder verletzte beförderte Person;
2.
im
Fall der Sachbeschädigung, auch wenn durch dasselbe Ereignis mehrere Sachen
beschädigt werden, nur bis zu einem Betrag von insgesamt einer Million Euro,
bei Verursachung des Schadens auf Grund der Verwendung einer hoch- oder
vollautomatisierten Fahrfunktion gemäß § 1a oder beim Betrieb einer autonomen
Fahrfunktion gemäß § 1e, nur bis zu einem Betrag von insgesamt zwei Millionen
Euro.
Die
Höchstbeträge nach Satz 1 Nr. 1 gelten auch für den Kapitalwert einer als
Schadensersatz zu leistenden Rente.“
Letztlich
kommt auch eine Haftung des Halters des Fahrzeugs nach § 7 StVG in Betracht. Hierbei handelt es sich um eine Gefährdungshaftung,
bei der kein Verschulden nötig ist, um einen Anspruch zu begründen. Das ergibt
sich wiederum aus dem Wortlaut der Norm:
„Wird
bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die
Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der
Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu
ersetzen.“
Wie weit diese Haftung geht, habe ich in diesen Beiträgen auf meinem Blog aufgezeigt:
Explodierte
Batterie und § 7 I StVG
https://zivilrecht-verstehen.blogspot.com/2023/03/explodierte-batterie-und-7-i-stvg.html
Halterhaftung
beim Kfz (§ 7 StVG)
https://zivilrecht-verstehen.blogspot.com/2021/10/halterhaftung-beim-kfz-7-stvg.html
Noch
mehr Halterhaftung
https://zivilrecht-verstehen.blogspot.com/2021/10/noch-mehr-halterhaftung.html
Ebenso
wie bei § 18 StVG gibt es auch bei dieser Gefährdungshaftung eine Höchstgrenze
hinsichtlich der Haftung.
Das
Zusammenspiel der angeführten Normen wird deutlich, wenn man sich die
Anforderungen an den Beweis der Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm klar
macht. Während bei der normalen Verschuldenshaftung der Anspruchsteller alle
ihm günstigen Voraussetzungen beweisen muss, also insbesondere das Verschulden,
wird dieses im Straßenverkehrsgesetz entweder vermutet oder es ist gar nicht
nötig.
Aus
diesem Grund stützt man sich als Anspruchsteller regelmäßig zuerst auf die Gefährdungshaftung
nach
§ 7 StVG, deren Voraussetzungen leichter zu beweisen sind.
Bei
der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Straßenverkehrsgesetz ist der Ausschluss
der Haftung gem. § 15 StVG zu beachten:
Der
Ersatzberechtigte verliert die ihm auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes
zustehenden Rechte, wenn er nicht spätestens innerhalb zweier Monate, nachdem
er von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erhalten hat,
dem Ersatzpflichtigen den Unfall anzeigt. Der Rechtsverlust tritt nicht ein,
wenn die Anzeige infolge eines von dem Ersatzberechtigten nicht zu vertretenden
Umstands unterblieben ist oder der Ersatzpflichtige innerhalb der bezeichneten
Frist auf andere Weise von dem Unfall Kenntnis erhalten hat.
2. Welche Schutzgesetze
gibt es im Straßenverkehr?
Wie oben gesehen, muss bei der Norm des § 823 II BGB ein Schutzgesetz verletzt worden sein. Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB ist eine Norm, die nach Zweck und Inhalt wenigstens auch auf den Schutz von Individualinteressen von einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung ausgerichtet ist (Althammer JA 2006, 697, 700).
Zahlreiche
Vorschriften im Straßenverkehrsrecht können dabei als ein solches Schutzgesetz
angesehen werden. Insbesondere die
So
handelt es sich bei § 2 StVO um eine Vorschrift, welche die individuellen Rechtsgüter
der Verkehrsteilnehmer schützen soll:
„(1) Fahrzeuge
müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte. Seitenstreifen
sind nicht Bestandteil der Fahrbahn.
(2) Es
ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim
Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit.“
Demgegenüber
schützen z.B. die meisten Parkverbote des § 12 III StVO nur die Allgemeininteressen
und können oft nicht für einen Anspruch aus diesem Teil der Verordnung herangezogen werden.
Aus
dem Strafgesetzbuch lassen sich verschieden Normen als Schutzgesetz heranziehen,
wie z.B. die fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB:
„Wer
durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
3. Welchen konkreten Schaden kann der Geschädigte geltend machen?
Im
Recht der Haftungsausfüllung, als der Art und des Umfangs des Schadensersatzes,
gibt es eine Fülle von Rechtsprechung, die kaum noch zu überschauen ist.
Nach
§ 249 I BGB gilt grundsätzlich die Naturalrestitution, d.h., der Schuldner hat
den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis
bestünde (BGH NJW 1985, 793).
Wichtig
ist bei Verkehrsunfällen natürlich die Reparatur des eigenen Kfz. Hier muss man
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kennen, die sehr detailliert ist. Als
Faustformel lässt sich folgende Aussage zur Reparatur machen:
Im
Rahmen der Naturalrestitution kann der Anspruchsteller entweder den Reparaturaufwand
verlangen. Dabei geht es um die Kosten der Reparatur sowie den merkantilen
Minderwert der Sache. Demgegenüber könnte er den Wiederbeschaffungsaufwand
ersetzt verlangen, also die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und
dem Restwert der Sache.
Zu
diesen teilweise recht komplizierten Berechnungen hat der Bundesgerichtshof ein
4-Stufen Modell entwickelt, das man unschwer im Internet nachlesen kann.
Vor
kurzem hat das Gericht Stellung zu einem interessanten Thema genommen, das ich
auf meinem Blog hier behandelt habe:
Reparaturkostenerstattung
nach Verkehrsunfall bei Instandsetzung des Kfz in eigener Werkstatt
https://zivilrecht-verstehen.blogspot.com/2023/09/reparaturkostenerstattung-nach.html
Bei einem
Verkehrsunfall kann der Geschädigte auch Ersatz der vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten zur Schadensregulierung verlangen, wenn die Inanspruchnahme
des Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war.
Selbstverständlich
können auch Heilungskosten für die Beeinträchtigung des Körpers und der
Gesundheit verlangt werden, wie etwa die Kosten für einen Aufenthalt im
Krankenhaus.
Dann
ist es auch denkbar, dass ein Schmerzensgeld geschuldet ist.
Bei
der Bemessung eines Schmerzensgeldes sind die Funktionen dessen zu beachten,
also die Ausgleichsfunktion für erlittene Einbußen und auch eine
Genugtuungsfunktion für das erlittene Unrecht.
4. Wie haftet die Haftpflichtversicherung?
Aus
den Vorschriften der § 115 I 1 Nr. 1 VVG i.V.m § 1 PflVG ergibt sich, dass eine
Haftpflichtversicherung für das schädigende Fahrzeug dem Anspruchsteller direkt
haftet, er also seinen Anspruch nicht gegen den Fahrer oder Halter des
gegnerischen Kfz geltend machen muss, sondern sofort gegen die Versicherung
vorgehen kann.
Dazu
der Wortlaut der beiden Normen:
„Der
Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer
geltend machen,
1. wenn
es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem
Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt…“
„Der
Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers mit regelmäßigem Standort im Inland
ist verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine
Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten
Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden nach den folgenden
Vorschriften abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf
öffentlichen Wegen oder Plätzen (§ 1 des Straßenverkehrsgesetzes) verwendet
wird.“
Wichtig
ist auch, dass eine Gesamtschuld zwischen dem Fahrer, Halter und der
Haftpflichtversicherung gegenüber dem Anspruchsteller besteht, § 421 S. 1 BGB,
§ 115 I 4 VVG.
Im
Verhältnis der Gesamtschuldner zueinander ist der Versicherer allein
verpflichtet, soweit er dem Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsverhältnis
zur Leistung verpflichtet ist, § 116 I 1 VVG.
5. Wie läuft der Gerichtsprozess ab?
Für
eine Klage vor dem Zivilgericht muss zunächst einmal ermittelt werden, welches
Gericht sachlich und örtlich zuständig ist.
Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts kann man aus den Vorschriften der §§ 12, 13ZPO und § 20 StVG entnehmen:
„Für
Klagen, die auf Grund dieses Gesetzes erhoben werden, ist auch das Gericht
zuständig, in dessen Bezirk das schädigende Ereignis stattgefunden hat.“
Auch
die Vorschrift des § 32 ZPO für den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung kann
etwa hinsichtlich der Vorschrift des § 823 BGB herangezogen werden:
„Für
Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk
die Handlung begangen ist.“
Hinsichtlich
der sachlichen Zuständigkeit kommt es auf den Streitwert an, §§ 23 Nr. 1, 71 IGVG. Demnach ist für Klagen auf einen Betrag von bis zu 5.000 Euro das
Amtsgericht und für höhere Beträge das Landgericht zuständig.
Wenn,
wie oben dargestellt, der gegnerische Fahrer und seine Haftpflichtversicherung
gemeinsam verklagt werden, liegt eine subjektive Klagehäufung gem. § 59 1. Fall ZPO i.V.m. § 260 ZPO vor, die auch zulässig ist, denn die Beklagten sind Gesamtschuldner.
Oft
erhebt in solchen Prozessen der Gegner eine Widerklage, die dann aber relativ
einfach als zulässig anzusehen ist. Denn ein nach § 33 ZPO geforderter
Zusammenhang der Widerklage mit der ursprünglichen Klage liegt auf der Hand.
Immerhin geht es ja um Ansprüche der Parteien aus demselben Lebenssachverhalt,
nämlich dem Unfall.
Sofern
der Kläger ein Schmerzensgeld geltend macht, kann er einen unbestimmten
Klageantrag stellen, wobei er eine gewisse Größenordnung des Betrags angeben
muss. Die Bemessung des Schmerzensgelds steht im freien Ermessen des Gerichts gem.
§ 287 ZPO.
Die
zugesprochenen Beträge sind aber regelmäßig sehr gering. Für ein typischerweise
anzutreffendes HWS-Schleudertrauma werden oft nur wenige hundert Euro
zugesprochen.
Bei
Prozessen in Verkehrsunfallsachen sind häufig sehr lange Beweisaufnahmen nötig.
So werden oft mehrere Zeugen befragt oder es müssen Sachverständige zum Hergang
des Unfalls herangezogen werden.
Sofern
der Kläger mit seiner Klage erfolgreich war, kann er aus dem Urteil, wenn es
rechtskräftig wird, die Zwangsvollstreckung betreiben. Nachdem aber regelmäßig
die Haftpflichtversicherung mit verklagt wird, stellt das kein Problem dar,
denn die Versicherung zahlt ohne eine Zwangsvollstreckung.
Zusammenfassung und Empfehlung:
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