Ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs zeigt auf, wann eine Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil erfolglos bleibt. Die Entscheidung gibt Anlass, sich einmal mit dem Versäumnisurteil und dem Einspruch sowie der Berufung auseinanderzusetzen.
Sachverhalt
"Das Amtsgericht hat den Beklagten auf Antrag der Klägerin
durch Versäumnisurteil zur Erteilung einer Löschungsbewilligung verurteilt. Auf
seinen Einspruch ist Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. September
2022 bestimmt worden. Der Beklagte hat am 9. September 2022 die Verlegung des
Termins wegen fehlender Akteneinsicht beantragt und mit unmittelbar vor
Verhandlungsbeginn eingegangenem Schreiben vom 14. September 2022 den Richter
am Amtsgericht wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Amtsgericht
hat den Einspruch durch den abgelehnten Richter mit zweitem Versäumnisurteil
verworfen. Die Berufung des Beklagten hat das Landgericht als unzulässig
verworfen..."
Gründe des Beschlusses
"Ein (zweites) Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch
an sich nicht statthaft ist (§ 345 ZPO), unterliegt der Berufung nur insoweit,
als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht
vorgelegen habe (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine zulässige Berufung setzt also
die schlüssige Darlegung voraus, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt
worden sei. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig
dargelegt, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen (vgl. BGH, Beschluss
vom 6. Oktober 2011 - IX ZB 149/11, FamRZ 2012, 27 Rn. 5; Beschluss vom 26. November
2015 - VI ZR 488/14, BGHZ 208, 75 Rn. 5). Nicht schuldhaft ist die Säumnis,
wenn die Partei beziehungsweise ihr Prozessvertreter, dessen Verschulden sich
die Partei als eigenes zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), an der
Wahrnehmung des Verhandlungstermins unverschuldet verhindert war, mithin die
Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei gewahrt hat…
Nach diesen Grundsätzen war der Vortrag des Beklagten,
das zweite Versäumnisurteil sei wegen Verletzung seines Anspruchs auf den
gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG), zumindest aber wegen Verstoßes gegen
§ 47 ZPO unzulässig gewesen, nicht geeignet, die Säumnis zu entschuldigen.
Der Beklagte durfte nicht davon ausgehen, dass der Termin
zur mündlichen Verhandlung am 14. September 2022 wegen seines unmittelbar davor
eingereichten Ablehnungsgesuchs gegen den Richter am Amtsgericht nicht
stattfinden werde. Zwar hat gemäß § 47 Abs. 1 ZPO ein abgelehnter Richter vor
Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen
Aufschub gestatten. Wird ein Richter während der Verhandlung abgelehnt und
würde die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung
erfordern, so kann der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters
fortgesetzt werden (§ 47 Abs. 2 ZPO). Aber auch dann, wenn - wie hier - der
ordnungsgemäß geladene Beklagte erst unmittelbar vor dem Verhandlungstermin das
Ablehnungsgesuch einreicht, darf er sich nicht darauf verlassen, dass der
Termin aufgehoben und kein Versäumnisurteil durch den abgelehnten Richter
erlassen werde…
Das folgt schon daraus, dass die Partei nach dem
gewöhnlichen Geschäftsablauf nicht damit rechnen kann, dass ein unmittelbar vor
dem Termin eingereichtes Ablehnungsgesuch dem abgelehnten Richter rechtzeitig
bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 136 Abs. 4 ZPO) vorgelegt wird.
Er muss vorsorglich zu dem Termin erscheinen und ggf. sein Ablehnungsgesuch
wiederholen…
Unabhängig davon kann die fehlende oder unverschuldete
Säumnis im Sinne des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nicht mit der Rüge begründet werden, das Ablehnungsgesuch
der säumigen Partei sei fehlerhaft behandelt worden…
Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das
Berufungsgericht habe sich unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht mit der
Frage befasst, ob der Erlass des zweiten Versäumnisurteils wegen der unter
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gewährten Akteneinsicht
durch das Amtsgericht unzulässig gewesen sei. Auch den darauf bezogenen Vortrag
sieht das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei als ungeeignet an, die Säumnis des
Beklagten zu entschuldigen. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil
kann gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht auf eine behauptete Gehörsverletzung
durch das Amtsgericht, sondern allein auf den Sonderfall der fehlenden oder
unverschuldeten Säumnis gestützt werden…"
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Hier sind weitere Artikel zum Zivilprozessrecht zu finden
Die
Zulässigkeit der Klage im Zivilrecht
Zuständigkeitsstreitwert
und Feststellungsklage
Die
Berufung gegen ein Versäumnisurteil
Bei
der Anwendung von Präklusionsvorschriften im Zivilprozess ist größte Vorsicht
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Der
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Die
Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage
Flucht
in die Säumnis/Widerklage
Der
Gerichtsstand des Erfüllungsortes
Die
Prüfung der Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht
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