Eine für fortgeschrittene Jurastudenten/innen oder Referendare/innen interessante Entscheidung des Bundesgerichtshofs beschäftigt sich mit der Frage, ob das Berufungsgericht eine Prüfung der Zulassung der Berufung vornehmen muss, wenn das erstinstanzliche Gericht dies nicht getan hat.
Dazu der Sachverhalt
Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu
unterlassen, den Pkw des Klägers zu verkratzen. Der Beklagte hat gegen das
Urteil Berufung eingelegt. Das Landgericht hat den Gebührenstreitwert für das
Berufungsverfahren auf bis zu 300 € festgesetzt. Die Berufung des Beklagten hat
es mit dem von der Rechtsbeschwerde angegriffenen Beschluss als unzulässig
verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteige (§
511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und das Amtsgericht die Berufung auch nicht zugelassen
habe (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
In dem Beschluss hat der Bundesgerichtshof kurz Stellung
genommen:
„Das
Berufungsgericht muss vor Verwerfung des Rechtsmittels mangels ausreichender
Beschwer eine Zulassungsprüfung nachholen, wenn das erstinstanzliche Gericht
davon ausgegangen ist, dass die Beschwer der unterlegenen Partei 600 €
übersteigt, und deswegen keine Prüfung der Zulassung der Berufung vorgenommen
hat (st. Rspr.).“
Vom Grundsatz her ist es nicht Sache des Berufungsgerichts, die Zulassung der Berufung nachzuprüfen. Eine solche Prüfung obliegt dem erstinstanzlichen Gericht.
Wie der BGH jedoch meint, muss das
Berufungsgericht dann diese Prüfung selbst vornehmen, wenn das in erster
Instanz versäumt wurde, weil dieses Gericht von einer Beschwer über 600 € und
damit einer Zulässigkeit der Berufung ausgegangen war.
Wenn das Berufungsgericht diese Prüfung nicht nachholt,
liegt also grundsätzlich eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der
Berufung vor.
Nun ändert sich gleichwohl am Ergebnis nichts, denn wer
insofern erfolgreich die unterlassene Prüfung rügt, muss trotzdem darlegen,
warum ein Grund für die Zulassung gegeben war. Dazu der BGH:
„Ein
Grund für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO wegen
einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen
Rechtsschutzes liegt in der Unterlassung einer gebotenen Nachholung der
Entscheidung über die Zulassung der Berufung nur, wenn ein Grund für die
Zulassung der Berufung vorliegt (Anschluss BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2015
- V ZB 179/14, WuM 2015, 320 Rn. 6; vom 10. Mai 2012 - V ZB 242/11, WuM 2012,
402 Rn. 11).“
Fazit
Nachdem der Beklagte einen solchen Grund nicht
vorgetragen hatte, war seine Rechtsbeschwerde erfolglos. Man sieht also, dass
die Verletzung einer Formalie nicht unbedingt zu einer Zulässigkeit der
Berufung führt.
Weiterführende Literatur
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Hier sind weitere Artikel zum Zivilprozessrecht zu finden
Die
Zulässigkeit der Klage im Zivilrecht
Zuständigkeitsstreitwert
und Feststellungsklage
Die
Berufung gegen ein Versäumnisurteil
Bei
der Anwendung von Präklusionsvorschriften im Zivilprozess ist größte Vorsicht
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Der
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Die
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Flucht
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Der
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