Nach wie vor macht es sich gut, wenn man in der juristischen Ausbildung oder im juristischen Beruf mit lateinischen Wörtern um sich wirft. Wenn einem die Argumente fehlen, kann man doch schnell ein bisschen Latein zitieren und wirkt gleich sehr überzeugend.
Hier geht es um den Satz: "Judex non calculat".
Dass diese Vorgehensweise gut ankommt, kann man z.B. in juristischen Foren sehen, in denen immer wieder juristische Laien die üblichen Phrasen benutzen, um der eigenen Argumentation mehr Aussagekraft zu verleihen.Sehr beliebt ist dort der Satz: "Pacta sunt servanda."
Im Folgenden will ich deshalb kurz eine weitere allseits bekannte Wendung ansprechen.Der Satz "judex non calculat" sagt aus: "Der Richter rechnet nicht". Er leitet sich aus dem Römischen Recht ab.
Auch am Anfang vom Jurastudium werden die meisten Studierenden wohl schon einmal diesen Satz gelesen oder gehört haben. Eigentlich ist er für die Ausbildung bis zum ersten Staatsexamen eher unbedeutend, denn es handelt sich um einen Teil des Prozessrechts. Für die Allgemeinbildung ist er aber durchaus von Interesse.
Im Zivilprozess ist es so, dass die mathematische Rechenarbeit
in einem Urteil nicht in Rechtskraft erwächst. Sofern also der/die Richter/in eine
fehlerhafte Rechenarbeit leistet, kann das gem. § 319 I ZPO wieder von Amts
wegen im Urteil berichtigt werden.
Anders ist das allerdings im Strafprozess. Hier kann es
schnell zur Aufhebung des Urteils kommen, wie der Bundesgerichtshof (BGH Beschl. v. 17.5.2022 – 6 StR 182/22 unter Rn. 2 und 3) entschieden hat:
„Der
Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat
dem Angeklagten im Rahmen ihrer Strafzumessungserwägungen bestimmend
angelastet, dass der Wirkstoffgehalt des zum Handel bestimmten Kokains mit
112,29 g Kokainhydrochlorid den Grenzwert zur nicht geringen Menge „um mehr als
das 120-Fache überschritten“ habe. Der Generalbundesanwalt weist hierzu jedoch
zutreffend darauf hin, dass der Wirkstoffgehalt der Handelsmenge bei richtiger
Berechnung lediglich etwas mehr als das 22-Fache des für Kokain geltenden
Grenzwerts betrug. Angesichts dieses signifikant überhöhten Ansatzes kann der
Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei korrekter Bewertung eine
geringere Strafe verhängt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 - 5 StR
239/14).
Die
zugehörigen Feststellungen haben mit Ausnahme derer zum Maß der Überschreitung
Bestand. Das neue Tatgericht kann neue Feststellungen treffen, soweit sie den
fortbestehenden nicht widersprechen.“
Wichtiger ist meiner Ansicht nach aber vielmehr die Bedeutung des lateinischen Satzes, dass das Vorbringen der Parteien im Zivilprozess nicht rein quantitativ, sondern qualitativ zu bewerten ist.
So kann ein Gericht z.B. nicht einfach sagen, der Kläger hat zwei Zeugen zum Beweis angeboten, der Beklagte aber nur einen, weshalb der Kläger bei entsprechend vorteilhaften Aussagen den Beweis erbracht hat.
Es kommt darauf an, ob die Zeugen glaubwürdig und ihre Aussagen glaubhaft
sind, was in jedem Einzelfall zu entscheiden ist und nicht anhand einer einfachen
mathematischen Rechnung festgestellt werden kann.
Daraus wird deutlich, dass die Rechtswissenschaft eben keine genaue mathematische Wissenschaft ist, sondern es muss immer wieder jeder einzelne Fall individuell gewürdigt werden. Die Ergebnisse können dann auch bei vergleichbaren Sachverhalten unterschiedlich sein.
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