Eine ganz neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 9. Januar 2024, II ZR 220/22) zeigt auf, welche Voraussetzungen beim Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen müssen (zu diesem Thema siehe bereits meinen Beitrag hier). Diese Grundsätze sind sogar dann anwendbar, wenn die Vertretungsmacht nur aufgrund einer Eintragung im Handelsregister fortbesteht.
Zum verkürzten Sachverhalt
Eine GmbH hatte ihr gesamtes Vermögen in ein bebautes
Grundstück investiert, das der kurz zuvor abberufene Geschäftsführer an einen
Dritten verkaufte. Zur Zeit des Verkaufs war der Geschäftsführer allerdings
noch im Handelsregister eingetragen.
Die Entscheidungsgründe im Wesentlichen
„Die Geschäftsführer vertreten die Gesellschaft nach § 35
Abs. 1 Satz 1 GmbHG gerichtlich und außergerichtlich. Diese Vertretungsmacht
ist grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 37 Abs. 2 GmbHG).
Schranken ergeben sich aber - auch mit Wirkung gegenüber Dritten (§ 242 BGB) -
aus den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht…
Handelt der Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht,
führt dies grundsätzlich zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung des Vertretenen.
Das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Vertretungsmacht hat
grundsätzlich der Vertretene zu tragen. Die Missachtung von Regeln und
Weisungen, die sich aus dem Innenverhältnis des Vertreters zum Vertretenen
ergeben, wirkt sich erst dann im Außenverhältnis aus, wenn die Grenzen des rechtlich
Tragbaren überschritten werden (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2020 - IX ZR
212/19, WM 2020, 2287 Rn. 9). Das Vertrauen des Geschäftsgegners in den Bestand
des Geschäfts ist nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder wenn es sich ihm
geradezu aufdrängen muss, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht
missbraucht. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Vertreter und
Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken oder wenn
der Missbrauch der Vertretungsmacht dem Geschäftsgegner bekannt ist oder wegen
Evidenz des Missbrauchs hätte bekannt sein müssen (BGH, Beschluss vom 10. April
2006 - II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 Rn. 2; Urteil vom 9. Januar 2019 - II ZR
364/18, BGHZ 220, 354 Rn. 40). Der Vertretene ist gegen einen erkennbaren
Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner dann
geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich
verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass beim Vertragspartner
begründete Zweifel bestehen mussten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters
gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig ist dabei eine massive
Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs. Die
objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen
Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem
Vertretenen geradezu aufdrängt (BGH, Urteil vom 11. Mai 2017 - IX ZR 238/15, WM
2018, 391 Rn. 20). In einem solchen Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht
kann der Geschäftsgegner aus dem formal durch die Vertretungsmacht gedeckten
Geschäft keine vertraglichen Rechte herleiten…
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht
gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1
HGB. Die Rechtsscheinregeln bewirken, dass sich derjenige, der den Rechtsschein
zurechenbar gesetzt hat, dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei
seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf
die wahre Rechtslage berufen kann. Aus Rechtsscheingrundsätzen können indes
keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden, als sie bestünden, wenn der
Rechtsschein zuträfe…
Das Berufungsgericht ist im Ergebnis noch zutreffend
davon ausgegangen, dass D. als Geschäftsführer nach den Umständen des
vorliegenden Falls dazu verpflichtet gewesen wäre, vor Abschluss des
Kaufvertrags mit der Beklagten einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss
herbeizuführen. Das hat er nicht getan und damit die im Innenverhältnis
maßgeblichen Grenzen seiner nach Rechtsscheingrundsätzen als fortbestehend
fingierten organschaftlichen Vertretungsmacht überschritten…
Namentlich ist der Geschäftsführer bei besonders
bedeutsamen Geschäften angehalten, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung
von sich aus einzuholen, § 49 Abs. 2 GmbHG…
Die Verpflichtung zur Übertragung des ganzen
Gesellschaftsvermögens einer GmbH ist ein solchermaßen besonders bedeutsames
Geschäft, zu dessen Vornahme der Geschäftsführer einen zustimmenden Beschluss
der Gesellschafterversammlung herbeiführen muss, selbst wenn der
Gesellschaftsvertrag, wie im vorliegenden Fall, einen entsprechenden
Zustimmungsvorbehalt nicht ausdrücklich enthält…
Dies gilt auch dann, wenn das übertragene
Gesellschaftsvermögen im Wesentlichen aus einem Grundstück besteht und der
Gegenstand des Unternehmens den Verkauf von Grundstücken umfasst…“
Fazit
Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu den
Voraussetzungen des Missbrauchs der Vertretungsmacht sind für Studierende im
Jurastudium von großem Interesse, zumal sie diese lehrbuchmäßig darstellen.
Auch zum Bereich des Handelsrechts kann man aus dieser Entscheidung einiges an
Wissen mitnehmen.
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