Eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2023, 2781) beschäftigt sich mit der Frage, wann eine Veranlassung zur Klage iSd. § 93 ZPO bei einem Schweigen vorliegt.
Auch im ersten juristischen Staatsexamen muss man die Grundzüge des Zivilprozessrechts beherrschen und insbesondere eine Zusatzfrage am Ende des Sachverhalts kann sich mit der soeben genannten Frage beim sofortigen Anerkenntnis befassen.
Sachverhalt
"Zwischen den Klägern und den Beklagten bestand seit
August 2018 ein zunächst befristetes und sodann unbefristetes Mietverhältnis
über von den Beklagten als Arztpraxis genutzte Räumlichkeiten. Mit Schreiben
vom 16. März 2022 erklärten die Kläger fristgerecht die ordentliche Kündigung
zum 30. September 2022. Nachdem eine Reaktion der Beklagten auf die Kündigung
ausblieb, ließen die Kläger, die eine Anschlussvermietung planten, die
Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. April 2022 auffordern, bis 12. Mai
2022 die fristgerechte Räumung der Mieträume zu bestätigen. Da die Beklagten
auch hierauf nicht reagierten, forderten die Kläger die Beklagten mit weiterem
Anwaltsschreiben vom 27. Mai 2022 erneut zur Bestätigung der fristgerechten
Räumung bis spätestens 10. Juni 2022 auf.
Mangels Reaktion der Beklagten hierauf haben die Kläger
im Juli 2022 Klage auf künftige Räumung gegen die Beklagten erhoben und dabei
auch die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangt. Anfang
August 2022 führten die Beklagten Gespräche mit der Nachmieterin und einigten
sich mit dieser über die Übernahme von Mobiliar. Dies teilten sie dem Kläger zu
2 am 11. August 2022 mit und schlugen die letzte Septemberwoche für die
Rückgabe der Räumlichkeiten vor. Nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens
und Zustellung der Klage nebst Eingangsverfügung am 12. August 2022 haben die
Beklagten die geltend gemachten Ansprüche am 24. August 2022 unter Protest
gegen die Kostenlast anerkannt. Sie haben dabei geltend gemacht, den Klägern
keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben zu haben, und angekündigt, die
Mieträume pünktlich zum Vertragsende geräumt herauszugeben."
Leitsatz des Gerichts
Der auf künftige Räumung verklagte Mieter von
Gewerberäumen ist zur Vermeidung der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
nicht gehalten, sich auf eine Aufforderung des Vermieters zu seiner
Bereitschaft zu erklären, die Mieträume bei Vertragsende an den Vermieter
herauszugeben. Allein durch sein Schweigen auf eine solche Aufforderung des
Vermieters gibt er noch keine Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO.
Entscheidungsgründe
"Abweichend von der allgemeinen Kostenregelung in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits
zu tragen hat, trifft den erfolgreichen Kläger gemäß § 93 ZPO die Kostenlast,
wenn der Beklagte den klageweise geltend gemachten Anspruch sofort anerkennt
und er durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Klage gegeben hat. Ob diese
Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist eine Frage tatrichterlicher
Würdigung, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkter Überprüfung
unterliegt (BGH Beschluss vom 21. März 2019 - IX ZB 54/18 - NJW 2019, 1525 Rn.
5 mwN).
Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO gibt
der Beklagte dann, wenn sein Verhalten vor dem Prozess aus Sicht des Klägers
bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er
werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen. Diese
Beurteilung bedarf einer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und
ist allgemeiner Beurteilung nicht zugänglich (st. Rspr.; vgl. BGH Beschluss vom
20. September 2022 - XI ZB 4/22 - WM 2022, 2147 Rn. 27 mwN)."
Zum Verständnis der Wortlaut von § 257 ZPO:
Ist
die Geltendmachung einer nicht von einer Gegenleistung abhängigen Geldforderung
oder die Geltendmachung des Anspruchs auf Räumung eines Grundstücks oder eines
Raumes, der anderen als Wohnzwecken dient, an den Eintritt eines Kalendertages
geknüpft, so kann Klage auf künftige Zahlung oder Räumung erhoben werden.
"Da der Räumungsschuldner bei einem Vorgehen des Gläubigers
nach § 257 ZPO schon vor Fälligkeit einem Rechtsstreit über seine
Räumungsverpflichtung ausgesetzt ist, ohne dass er hierzu Anlass gegeben haben
müsste und ohne dass er einen solchen Rechtsstreit effektiv hätte vermeiden
können, kommt der durch § 93 ZPO eröffneten Möglichkeit des Beklagten, durch
ein sofortiges Anerkenntnis eine nachteilige Kostenfolge abzuwenden, besondere
Bedeutung zu. Insbesondere ist nur durch die Kostenregelung in § 93 ZPO, die
dem Räumungsgläubiger das Kostenrisiko eines anlasslosen Rechtsstreits zuweist,
den Interessen beider Parteien angemessen Rechnung getragen.
Allein aus dem Schweigen des Mieters auf eine
Aufforderung des Vermieters, sich über seine künftige Vertragstreue und
Leistungsbereitschaft zu erklären, ergeben sich derartige Anhaltspunkte
grundsätzlich nicht. Zwar liegt bei einem ungestörten Vertragsverhältnis nach
allgemeinen Gepflogenheiten nahe, dass die Vertragspartner auf Fragen des
anderen Vertragsteils in irgendeiner Weise reagieren, und sei es nur mit der
Mitteilung, dass die Frage (derzeit) nicht beantwortet werden könne. Aus dem
Ausbleiben einer Reaktion kann dennoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht
auf eine fehlende Erfüllungsbereitschaft geschlossen werden, weil dieses auf
vielfältigen Gründen beruhen kann. Mangels einer Verpflichtung des Schuldners,
sich zu seiner Erfüllungsbereitschaft zum Fälligkeitszeitpunkt zu erklären, ist
das bloße Schweigen auf eine derartige Anfrage mithin im Regelfall nicht als
Ausdruck des Fehlens der Erfüllungsbereitschaft zu deuten."
Weiterführende Literatur
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Hier sind weitere Artikel zum Zivilprozessrecht zu finden
Die
Zulässigkeit der Klage im Zivilrecht
Zuständigkeitsstreitwert
und Feststellungsklage
Die
Berufung gegen ein Versäumnisurteil
Bei
der Anwendung von Präklusionsvorschriften im Zivilprozess ist größte Vorsicht
geboten
Der
Aufbau der einseitigen Erledigungserklärung im Gutachten
Die
Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage
Flucht
in die Säumnis/Widerklage
Der
Gerichtsstand des Erfüllungsortes
Die
Prüfung der Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht
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