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Montag, 11. März 2024

Kann Schweigen eine Veranlassung zur Klage sein?

 

Eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2023, 2781) beschäftigt sich mit der Frage, wann eine Veranlassung zur Klage iSd. § 93 ZPO bei einem Schweigen vorliegt.

Auch im ersten juristischen Staatsexamen muss man die Grundzüge des Zivilprozessrechts beherrschen und insbesondere eine Zusatzfrage am Ende des Sachverhalts kann sich mit der soeben genannten Frage beim sofortigen Anerkenntnis befassen.


Sachverhalt


"Zwischen den Klägern und den Beklagten bestand seit August 2018 ein zunächst befristetes und sodann unbefristetes Mietverhältnis über von den Beklagten als Arztpraxis genutzte Räumlichkeiten. Mit Schreiben vom 16. März 2022 erklärten die Kläger fristgerecht die ordentliche Kündigung zum 30. September 2022. Nachdem eine Reaktion der Beklagten auf die Kündigung ausblieb, ließen die Kläger, die eine Anschlussvermietung planten, die Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. April 2022 auffordern, bis 12. Mai 2022 die fristgerechte Räumung der Mieträume zu bestätigen. Da die Beklagten auch hierauf nicht reagierten, forderten die Kläger die Beklagten mit weiterem Anwaltsschreiben vom 27. Mai 2022 erneut zur Bestätigung der fristgerechten Räumung bis spätestens 10. Juni 2022 auf.

Mangels Reaktion der Beklagten hierauf haben die Kläger im Juli 2022 Klage auf künftige Räumung gegen die Beklagten erhoben und dabei auch die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangt. Anfang August 2022 führten die Beklagten Gespräche mit der Nachmieterin und einigten sich mit dieser über die Übernahme von Mobiliar. Dies teilten sie dem Kläger zu 2 am 11. August 2022 mit und schlugen die letzte Septemberwoche für die Rückgabe der Räumlichkeiten vor. Nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens und Zustellung der Klage nebst Eingangsverfügung am 12. August 2022 haben die Beklagten die geltend gemachten Ansprüche am 24. August 2022 unter Protest gegen die Kostenlast anerkannt. Sie haben dabei geltend gemacht, den Klägern keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben zu haben, und angekündigt, die Mieträume pünktlich zum Vertragsende geräumt herauszugeben."


Leitsatz des Gerichts


Der auf künftige Räumung verklagte Mieter von Gewerberäumen ist zur Vermeidung der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gehalten, sich auf eine Aufforderung des Vermieters zu seiner Bereitschaft zu erklären, die Mieträume bei Vertragsende an den Vermieter herauszugeben. Allein durch sein Schweigen auf eine solche Aufforderung des Vermieters gibt er noch keine Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO.


Entscheidungsgründe


"Abweichend von der allgemeinen Kostenregelung in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, trifft den erfolgreichen Kläger gemäß § 93 ZPO die Kostenlast, wenn der Beklagte den klageweise geltend gemachten Anspruch sofort anerkennt und er durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Klage gegeben hat. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkter Überprüfung unterliegt (BGH Beschluss vom 21. März 2019 - IX ZB 54/18 - NJW 2019, 1525 Rn. 5 mwN).

Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO gibt der Beklagte dann, wenn sein Verhalten vor dem Prozess aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen. Diese Beurteilung bedarf einer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und ist allgemeiner Beurteilung nicht zugänglich (st. Rspr.; vgl. BGH Beschluss vom 20. September 2022 - XI ZB 4/22 - WM 2022, 2147 Rn. 27 mwN)."

Zum Verständnis der Wortlaut von § 257 ZPO:

Ist die Geltendmachung einer nicht von einer Gegenleistung abhängigen Geldforderung oder die Geltendmachung des Anspruchs auf Räumung eines Grundstücks oder eines Raumes, der anderen als Wohnzwecken dient, an den Eintritt eines Kalendertages geknüpft, so kann Klage auf künftige Zahlung oder Räumung erhoben werden.

"Da der Räumungsschuldner bei einem Vorgehen des Gläubigers nach § 257 ZPO schon vor Fälligkeit einem Rechtsstreit über seine Räumungsverpflichtung ausgesetzt ist, ohne dass er hierzu Anlass gegeben haben müsste und ohne dass er einen solchen Rechtsstreit effektiv hätte vermeiden können, kommt der durch § 93 ZPO eröffneten Möglichkeit des Beklagten, durch ein sofortiges Anerkenntnis eine nachteilige Kostenfolge abzuwenden, besondere Bedeutung zu. Insbesondere ist nur durch die Kostenregelung in § 93 ZPO, die dem Räumungsgläubiger das Kostenrisiko eines anlasslosen Rechtsstreits zuweist, den Interessen beider Parteien angemessen Rechnung getragen.

Allein aus dem Schweigen des Mieters auf eine Aufforderung des Vermieters, sich über seine künftige Vertragstreue und Leistungsbereitschaft zu erklären, ergeben sich derartige Anhaltspunkte grundsätzlich nicht. Zwar liegt bei einem ungestörten Vertragsverhältnis nach allgemeinen Gepflogenheiten nahe, dass die Vertragspartner auf Fragen des anderen Vertragsteils in irgendeiner Weise reagieren, und sei es nur mit der Mitteilung, dass die Frage (derzeit) nicht beantwortet werden könne. Aus dem Ausbleiben einer Reaktion kann dennoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf eine fehlende Erfüllungsbereitschaft geschlossen werden, weil dieses auf vielfältigen Gründen beruhen kann. Mangels einer Verpflichtung des Schuldners, sich zu seiner Erfüllungsbereitschaft zum Fälligkeitszeitpunkt zu erklären, ist das bloße Schweigen auf eine derartige Anfrage mithin im Regelfall nicht als Ausdruck des Fehlens der Erfüllungsbereitschaft zu deuten."


Weiterführende Literatur


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