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Montag, 25. März 2024

Ein Rechtsanwalt muss die aktuelle Rechtsprechung des BGH im Auge behalten

Das Thüringer Oberlandesgericht (Urteil vom 26. Januar 2024 – 9 U 364/18) hat in einer neuen Entscheidung klargestellt, welche Anforderungen an die Kenntnis eines Rechtsanwalts von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH zu stellen sind und was die Folgen einer solchen Missachtung sein können.

Dies ist für viele Studierende vielleicht schon jetzt ein interessantes Thema, zumal die Mehrheit nach der Ausbildung in der Anwaltschaft arbeiten wird.


Hier der insoweit einschlägige Teil der Leitsätze des Gerichts


„Die aktuelle einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hat ein auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen. Er ist gehalten, sich über die online verfügbare Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofs über die fortlaufende Rechtsprechung zu informieren.“


Zum Sachverhalt

         

Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, nimmt die beklagten Rechtsanwälte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch verursacht worden sein, dass die Beklagten für ihre Mandanten einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt bzw. fortgeführt haben.


Aus den Gründen


„Zwischen den Beklagten und ihren Mandanten bestand seit 2011 ein Anwaltsvertrag (§ 675 BGB), wobei die Beklagten eine Vollmacht für die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung in Bezug auf Schadensersatzansprüche wegen einer von ihren Mandanten getätigten Beteiligung an dem „S. KG“ erhielten. Die Beklagten betrieben ab dem Jahr 2013 im Auftrag ihrer Mandanten ein Klageverfahren, das im Jahr 2015 - für die Beklagten erkennbar - aussichtslos geworden war und zu einem Kostenschaden der Mandanten führte…

Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 165/19 –, juris Rn. 27). Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH, a.a.O. Rn. 27, juris). Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es danach, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-)Entscheidungen („Weichenstellungen”) in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. Dazu muss sich der Anwalt über die Sach- und Rechtslage klarwerden und diese dem Auftraggeber verständlich darstellen (BGH, a.a.O. Rn. 28). Auch im Blick auf die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits geht es darum, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung in seinen rechtlichen Angelegenheiten vermeiden zu können. Aufgrund der Beratung muss der Mandant in der Lage sein, Chancen und Risiken des Rechtsstreits selbst abzuwägen. Hierzu reicht es nicht, die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu benennen. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen (BGH, a.a.O. Rn. 29). Zwar besteht keine mandatsbezogene Pflicht, einen von Anfang an aussichtslosen Rechtsstreit nicht zu führen, jedoch muss der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten des in Aussicht genommenen Rechtsstreits genügen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 26). Ist danach eine Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen. Vielmehr kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten (BGH a.a.O. Rn. 29 m.w.N.).

Bei der Beratung kommt der aktuellen einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung überragende Bedeutung zu (BGH a.a.O. Rn. 30). Diese hat ein auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen…

Gemessen an diesen Grundsätzen waren die Beklagten verpflichtet gewesen, vor der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Gera am 11.07.2016 zur Rücknahme der Klage zu raten, weil diese infolge des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) praktisch aussichtslos geworden war und die Beklagten ihre Beratung mit dem 30.09.2015 danach hätten ausrichten müssen. Im vorliegenden Rechtsstreit kommt hinzu, dass nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2016 (III ZB 88/15), der am 23.02.2016 auf der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlicht wurde, weiträumig vor dem Termin vor dem Landgericht eine höchstrichterliche Entscheidung vorlag, die einerseits den von den Beklagten formulierten Güteantrag und andererseits eine Auseinandersetzung mit unionsrechtlichen Fragen enthielt. Die rechtliche Einschätzung der Beklagten, dass über den 30.09.2015 bzw. den 28.01.2016 hinaus weiterhin Erfolgsaussichten bestanden hätten, war objektiv unzutreffend, für einen sorgfältig arbeitenden Rechtsanwalt erkennbar und damit pflichtwidrig.“


Fazit


Wie man sieht, muss man als Rechtsanwalt/in ständig mit der neuesten Rechtsprechung des BGH vertraut sein und muss sich sogar online über etwaige neuere Urteile erkundigen, bevor diese in den Fachzeitschriften abgedruckt sind. Wer das nicht tut, kann sich also schadensersatzpflichtig machen, wobei dann natürlich wieder die Haftpflichtversicherung der Kanzlei vorrangig in Anspruch genommen wird.


Weiterführende Literatur


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Der Zivilprozess


Hier sind weitere Artikel zum Zivilprozessrecht zu finden


Die Zulässigkeit der Klage im Zivilrecht

Zuständigkeitsstreitwert und Feststellungsklage

Die Wiedereinsetzung

Die Berufung gegen ein Versäumnisurteil

Bei der Anwendung von Präklusionsvorschriften im Zivilprozess ist größte Vorsicht geboten

Der Aufbau der einseitigen Erledigungserklärung im Gutachten

Die Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage

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