In dem schier unendlich großen See des Allgemeinen Teils des BGB gibt es einen weiteren kleinen Teilbereich, welcher in der juristischen Ausbildung immer wieder in Prüfungen thematisiert wird. Für viele ist allein das Wort Gestaltungsrecht schon rätselhaft. Dann soll es auch noch eine Bedingungsfeindlichkeit diesbezüglich geben. Es handelt sich bei der Materie aber um ein absolut examensrelevantes Gebiet, sodass man sich Kenntnisse verschaffen muss.
In den folgenden Zeilen will ich versuchen, diese Problematik zu entschlüsseln und Klarheit für ein besseres Verständnis zu schaffen.
Was sind Gestaltungsrechte?
Gestaltungsrechte wie etwa die Anfechtung, die
Aufrechnung, der Rücktritt, die Ausübung eines
Vorkaufsrechts, die Minderung oder die Kündigung werden durch einseitige
Einwirkung in Form einer empfangsbedürftigen Erklärung ausgeübt und ändern ein
bestehendes Schuldverhältnis um oder beenden es. Damit kann der Erklärende also
ohne Mitwirkung seines Gegners auf die bestehende Rechtslage einwirken.
Das Wort „Gestaltungsrecht“ wurde von Seckel in
Festschrift für Koch (1903), S. 205, 210, kreiert und hat keine Definition im
Gesetz.
Besteht
hier eine Bedingungsfeindlichkeit?
Vom Grundsatz her kann man jedes Rechtsgeschäft von dem
Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses abhängig machen.
Gerade weil diese oben genannten Gestaltungsrechte aber ein bestehendes Schuldverhältnis umändern oder beenden, muss Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bestehen, sodass sie nicht unter einer Bedingung im Rechtssinn erklärt werden können. Eine unklare Schwebesituation ist dabei nicht zumutbar.
Die Gestaltungsrechte werden bereits mit Zugang der Erklärung wirksam, ohne dass eine weitere Bedingung erforderlich wäre. Als Empfänger einer solchen Erklärung muss man sich auf die geänderte Rechtslage verlassen können.
Diese Bedingungsfeindlichkeit kann man aus der Vorschrift
des § 388 S. 2 BGB ableiten, nach welcher die Erklärung der Aufrechnung unwirksam
ist,
wenn sie unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben wird.
Was stellt eine echte Bedingung dar?
Eine Bedingung gem. § 158 BGB läge dann vor, wenn die
Gestaltungserklärung von einem ungewissen zukünftigen Ereignis abhängig gemacht
würde. Man kann also mit einer Bedingung zukünftige Ereignisse bereits bei
Abschluss des Geschäfts berücksichtigen.
In Prüfungsarbeiten findet sich dieses Problem sehr oft,
allerdings liegt dann regelmäßig gerade keine solche Bedingung vor.
Beispiele für eine zulässige Bedingung von Gestaltungsrechten
Es gibt einige Situationen, in denen nicht auf Anhieb
erkennbar ist, dass es sich tatsächlich gar nicht um eine echte Bedingung im
Rahmen der Wirksamkeitsprüfung des Gestaltungsrechts handelt.
Rechtsbedingungen
Möglich sind Rechtsbedingungen, welche nur noch einmal die rechtlichen
Voraussetzungen wiederholen. Sie stellen keine echten Bedingungen dar.
So kommt es in Zivilprozessen oft zu der Situation, in
welcher der Beklagte gegen die
Klageforderung hilfsweise aufrechnet. Hier soll die Aufrechnung nur
greifen, wenn das Gericht den Klageanspruch entgegen der Ansicht des Beklagten für
gerechtfertigt hält. In einem solchen Fall ist objektiv klar, ob die
Klageforderung besteht oder nicht, weshalb es sich bei der hilfsweisen
Aufrechnung nur um eine Rechtsbedingung handelt, die zulässig ist.
Auch kann man eine außerordentliche
mit einer ordentlichen Kündigung verbinden, denn hier bezieht sich die
Bedingung nur auf die Klärung einer Rechtsfrage, sodass sie also nur von der
rechtlichen Beurteilung des Verhaltens abhängt.
Hierher gehört auch der Fall bei der bedingten Anfechtung
und einem Streit über die Auslegung
eines Rechtsgeschäfts:
In diesem Sinn hat der Bundesgerichtshof in einer neueren
Entscheidung sehr schön dargelegt, wie die Abgrenzung erfolgt (BGH, Urteil vom 15. Februar 2017 - VIII ZR 59/16, Rn. 31):
„Einer
Wirksamkeit dieser Anfechtungserklärung steht nicht entgegen, dass der Kläger
gleichwohl in erster Linie die Erfüllung des Kaufvertrages durch den Beklagten
nach Maßgabe des von ihm angenommenen Vertragsinhalts begehrt und insoweit von
einem (Fort-)Bestand des Vertrages ausgeht. Zwar ist eine Anfechtungserklärung
wegen ihres Gestaltungscharakters grundsätzlich bedingungsfeindlich (BGH,
Urteil vom 28. September 2006 - I ZR 198/03, NJW-RR 2007, 1282 Rn. 17 mwN).
Gleichwohl wird aber eine Eventualanfechtung, also eine Anfechtung für den
Fall, dass das Rechtsgeschäft nicht den in erster Linie behaupteten Inhalt hat
oder nicht ohnehin nichtig ist, allgemein für zulässig gehalten, weil hierin
keine Bedingung im Rechtssinne zu sehen ist.
Denn
streiten die Parteien über die Auslegung eines Rechtsgeschäfts und will die
eine Partei an den Vertrag nur gebunden sein, wenn er in ihrem Sinne ausgelegt
wird, und ficht sie anderenfalls das Rechtsgeschäft vorsorglich an, ist die Anfechtungserklärung
nicht von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht. Vielmehr soll
die (unbedingte) Anfechtungserklärung nur für den Fall gelten, dass die
Auslegung in einem der Auffassung des Anfechtenden widersprechenden Sinne
erfolgt. Nur für diesen Fall will er an den Vertrag nicht gebunden sein. Die
Wirkung der Anfechtung ergibt sich dann nämlich aus der künftigen gerichtlichen
Klarstellung eines damals nur für die Parteien ungewissen, aber objektiv
bereits bestehenden Rechtszustandes…“
Potestativbedingungen
Des Weiteren wird in einer Klausur oder Hausarbeit auch
oft der Fall geschildert, dass eine Partei ein Gestaltungsrecht ausübt, aber
dieses davon abhängig macht, dass der andere etwas Bestimmtes tut. Dies ist
ebenso wie die vorstehend geschilderte Situation als zulässige „Bedingung“
anzusehen, und zwar als sogenannte Potestativbedingung. Bei solchen Bedingungen kann
der Erklärungsempfänger den Eintritt der Bedingung selbst beeinflussen, ihr
Eintritt hängt somit nur vom Willen des Erklärungsempfängers ab.
Zulässig ist dies also dann, wenn der Erklärungsempfänger
auf den Schutz vor der ungewissen Rechtslage verzichtet oder gar nicht in eine
ungewisse Lage gebracht wird und seine berechtigten Interessen nicht
beeinträchtigt werden (BGHZ 97, 264, 267).
Das Musterbeispiel ist die Änderungskündigung im
Arbeitsrecht. Wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund geltend machen kann,
könnte er seinem Arbeitnehmer kündigen und ihm zugleich anbieten, das
Vertragsverhältnis zu den von ihm gewünschten veränderten Bedingungen weiter
bestehen zu lassen. Die Kündigung ist auch hier nicht von einer Bedingung im
Rechtssinn abhängig, weshalb die Kündigung zulässig erklärt worden ist.
Weiterführende Literatur
Man sollte den Allgemeinen Teil des BGB mit seinen vielen
kleinen Teilproblemen in der Ausbildung nicht unterschätzen. Immerhin enthält
diese Materie die für alle anderen Bücher des BGB geltenden Regeln, woraus sich
die große Examensrelevanz ergibt. In meinem eBook* „Juristische Übungsfälle zum
BGB AT“ habe ich eine ausführliche Fallsammlung zu vielen Problemen erstellt.
Wer Interesse hat, kann das Buch hier finden:
Juristische Übungsfälle zum BGB AT
Hier sind weitere Artikel zum Anfechtungsrecht auf diesem Blog zu finden
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