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Montag, 15. Januar 2024

Schadensersatz nach Zuführung unwägbarer Stoffe bei einer Grenzbebauung

 

Schadensersatz Grenzbebauung

Ein eher etwas abgelegenes Rechtsgebiet in der juristischen Ausbildung ist die Zuführung unwägbarer Stoffe gem. § 906 BGB.

In einer neueren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof dazu Stellung genommen, ob ein Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch bei einer Grenzbebauung besteht, wenn Schnee von dem einen auf das andere Gebäude abprallt.


Rechtliche Probleme


Es stellen sich bei der Lösung im Rahmen des § 906 BGB mehrere Fragen:


Was stellt eine Immission dar?

Wie grenzt man positive von negativen Einwirkungen ab?

Ist die Beeinträchtigung wesentlich?

Kommt eine analoge Anwendung von § 906 II 2 BGB in Betracht?

 

Sachverhalt

Zuführung unwägbarer Stoffe bei Grenzbebauung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das an der Grenze zum Nachbargrundstück des Beklagten mit einem eingeschossigen Tankstellengebäude bebaut ist. Der Beklagte errichtete auf seinem Grundstück direkt angrenzend an das Tankstellengebäude und unmittelbar neben dem dort bereits vorhandenen Bestandsgebäude ein mit einem Flachdach versehenes Zweifamilienhaus, welches das Flachdach des Tankstellengebäudes - ebenso wie bereits das Bestandsgebäude - um mehr als 0,5 m überragt.

Die Klägerin macht geltend, wegen des unmittelbar angrenzenden mehr als 0,5 m höheren Neubaus des Beklagten müsse das Dach des Tankstellengebäudes nach nunmehr einschlägigen DIN-Vorschriften mit einem Aufwand von 53.317,75 € durch den Einbau einer zusätzlich tragenden Ebene in die Decke statisch ertüchtigt werden, um den veränderten Schneelastanforderungen infolge des von dem Neubau abprallenden Schnees zu entsprechen.

Sie begehrt von dem Beklagten Ersatz dieser Kosten nebst Zinsen sowie die Feststellung seiner Ersatzpflicht für die entstandenen und noch entstehenden Kosten einer statischen Dachertüchtigung.


Leitsatz


„Das Abprallen von Schnee an einer baurechtlich genehmigten Grenzwand stellt zwar wie eine von einer Grenzbebauung ausgehende Lichtreflexion eine positive Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar, beeinträchtigt es aber regelmäßig nur unwesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB. Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb angezeigt, weil das Dach des auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäudes nach den maßgeblichen DIN-Normen erst infolge der Grenzbebauung einer statischen Ertüchtigung bedarf.“


Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung mehrere Anspruchsgrundlagen geprüft, wobei die Vorschrift des § 906 BGB den Schwerpunkt darstellt.


Dazu die Entscheidungsgründe


„Ein Ausgleichsanspruch ergibt sich nicht aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer, der nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB eine wesentliche Immission im Sinne von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu dulden hat, einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung die ortsübliche Nutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt…

Unter für einen Ausgleichsanspruch erforderlichen Einwirkungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur diejenigen zu verstehen, die positiv die Grundstücksgrenze überschreitende, sinnlich wahrnehmbare Wirkungen entfalten…

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass negative Einwirkungen durch das Abhalten von natürlichen Zuführungen wie etwa Licht und Luft - beispielsweise durch Anpflanzungen - nicht nach §§ 905, 906, 907, 1004 BGB abgewehrt werden können…

Richtigerweise ist jedenfalls das Abprallen von Schnee an einem auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäude als positive Einwirkung im Sinne von § 906 BGB einzuordnen (vgl. MüKoBGB/Brückner, 9. Aufl., § 906 Rn. 56). Zwar hält sich eine Grenzbebauung in den räumlichen Grenzen des Grundstücks, so dass es für deren Errichtung keiner Rechtfertigung nach § 906 Abs. 1 BGB bedarf. Das Abprallen von Schnee stellt sich nur als mittelbare Folge der zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks dar…

Der Klägerin steht gleichwohl kein Ausgleichsanspruch zu, weil von dem Neubau des Beklagten abprallender Schnee die Benutzung des Grundstücks der Klägerin nur unwesentlich beeinträchtigt…

Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist…

Bei entsprechenden Witterungsbedingungen ist hier allerdings mit einer erhöhten Schneelast auf dem Tankstellendach der Klägerin zu rechnen, da der vom Gebäude des Beklagten abprallende Schnee dorthin geraten kann. Die Nutzung des Grundstücks zum Betrieb einer Tankstelle wird jedoch nicht unmittelbar eingeschränkt…

Die Errichtung des Neubaus auf der Grundstücksgrenze ist ferner von einer Baugenehmigung gedeckt. Der Beklagte nutzt sein Grundstück in baurechtlich zulässiger Weise, insbesondere was die Lage des Baukörpers an der Grundstücksgrenze und dessen Höhe anbelangt…

Zwar hat die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung keinen Einfluss auf das Bestehen von Ansprüchen aus § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 906 BGB, weil die Baugenehmigung nach den Landesbauordnungen unbeschadet privater Rechter Dritter ergeht und deshalb keine privatrechtsgestaltende Ausschlusswirkung haben kann (vgl. Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 99/21, NJW 2022, 2400 Rn. 23). Gleichwohl fehlt es bei einer zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks in aller Regel an der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks, da sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält…

 

Die Klägerin hat ebenfalls keinen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB…

Da die durch den abprallenden Schnee ausgehende Einwirkung entsprechend den vorstehenden Ausführungen jedenfalls nicht wesentlich ist, mangelt es schon an einem für den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch erforderlichen Abwehranspruch der Klägerin…

 

Die Klage bleibt auch unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltung einer gefahrdrohenden Anlage erfolglos (§ 823 Abs. 2, § 907 Abs. 1 BGB)…

 

Schließlich lässt sich ein Ausgleichsanspruch der Klägerin nicht aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten…“


Fazit


Wer in diesem Sonderbereich des BGB auch nur die Grundzüge kennt, wird in einer Klausur im Staatsexamen mit hohen Punktzahlen belohnt. Denn vielen Studierenden ist schon die Norm des § 906 BGB nicht bekannt, weshalb die Prüfungsarbeit schon am Einstieg scheitert. Man muss sich bei den Voraussetzungen der Vorschrift nur einige Prüfungspunkte merken und kann dann regelmäßig anhand der im Sachverhalt vorgegebenen Argumente eine vertretbare Lösung finden.


Weiterführende Literatur


Wer die rechtlichen Probleme bei einem Grenzbaum im Rahmen der deliktischen Hafting sehen will, kann dazu Fall Nr. 31 in meinem eBook* "Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht BT II“ nachlesen.

Juristische Übungsfälle zum Schuldrecht BT II


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