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Donnerstag, 13. Februar 2025

Schadensersatz bei berührungslosem Unfall mit einem Motorradfahrer

 

Schadensersatz bei berührungslosem Unfall mit einem Motorradfahrer

Ein Urteil des Bundesgerichtshofs bietet Anlass für fortgeschrittene Jurastudierende, sich einmal mit dem Schadensersatz bei einem Verkehrsunfall zu beschäftigen.

Hier liegt die besondere Konstellation vor, dass es zwischen den beteiligten Fahrzeugen nicht einmal zu einer Berührung gekommen ist, was aber im konkreten Fall unschädlich für den geltend gemachten Anspruch war.


Sachverhalt


„Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad die B. Straße in Richtung H. Vor ihm fuhr ein Pkw, hinter ihm ein weiteres Motorrad. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit betrug 70 km/h. Die Beklagte zu 1 fuhr mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw auf der B. Straße in die Gegenrichtung. Ihre Fahrbahn war in einer leichten Rechtskurve durch ein Müllabfuhrfahrzeug blockiert, das gerade beladen wurde. Um an diesem Fahrzeug vorbeizufahren, wechselte die Beklagte zu 1 auf die Gegenfahrbahn. Der ihr dort entgegenkommende Pkw bremste stark ab, um eine Kollision mit der Beklagten zu 1 zu vermeiden. Auch der hinter diesem Pkw fahrende Kläger machte eine Vollbremsung. Sein Motorrad, das nicht über ein Anti-Blockier-System (ABS) verfügte, geriet dabei ins Rutschen. Der Kläger stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Zu einer Kollision des Motorrads mit dem vorausfahrenden Pkw kam es nicht. Der hinter dem Kläger fahrende Motorradfahrer konnte abbremsen, ohne zu stürzen…“

Fraglich ist, ob der Kläger in dieser Situation einen Schadensersatzanspruch hat.


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Urteilsgründe


„1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Haftungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG dem Grunde nach vorliegen. Der Schaden des Klägers ist bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist ein Schaden bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. nur Senatsurteil vom 12. Dezember 2023 - VI ZR 77/23, NJW 2024, 898 Rn. 13 mwN).

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG nicht davon abhängt, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (Senatsurteil vom 22. November 2016 - VI ZR 533/15, NJW 2017, 1173 Rn. 12 mwN). Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Bei einem sogenannten "Unfall ohne Berührung" ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat, also, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (vgl. Senatsurteile vom 22. November 2016 - VI ZR 533/15, NJW 2017, 1173 Rn. 14; vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, NJW 2005, 2081, juris Rn. 10 mwN).

Das kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver oder zum Abbremsen veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein (vgl. Senatsurteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09, NJW 2010, 3713 Rn. 5). Auch ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion kann gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. Senatsurteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09, NJW 2010, 3713 Rn. 6 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, dass bei dem berührungslosen Unfall des Klägers der erforderliche Zurechnungszusammenhang zu dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs besteht…“

 

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Fazit


Wie man sehen kann, ist es durchaus möglich, einen Schadensersatz gem. § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG bei einem Verkehrsunfall zu gewähren, wenn es zwischen den beteiligten Fahrzeugen nicht einmal zu einer Berührung kommt. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt für die juristische Ausbildung. Wer hier den Anspruch ablehnt, wird keine größere Punktzahl im Examen erreichen können.

 



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