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Donnerstag, 29. Juli 2021

Die abgeschwächte Vernehmungstheorie

Die abgeschwächte Vernehmungstheorie bei empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Anwesenden wird erläutert
In einem Forum war wieder einmal ein Fall zum Allgemeinen Teil des BGB zu finden, der offenbar Schwierigkeiten bereitet hat.

Es geht um den Zugang einer Willenserklärung und insbesondere um die abgeschwächte Vernehmungstheorie. Diese Thematik wird schon in den ersten Vorlesungsstunden des Studiums besprochen.


Zugang einer Willenserklärung


Eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die mündlich abgegeben wird, muss dem Gegner zugehen. Dies ist im Gesetz nicht gesondert geregelt, weshalb nach herrschender Ansicht die Vorschrift des § 130 I 1 BGB analog anzuwenden ist.

Hier der Wortlaut der Norm:

Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. 


Zugang unter Anwesenden


Ein Meinungsstreit besteht in diesem Bereich bei der mündlichen Erklärung unter Anwesenden.

Es reicht nach der sog. eingeschränkten Vernehmungstheorie für das Wirksamwerden der Willenserklärung unter Anwesenden, wenn für den Erklärenden vernünftigerweise keine Zweifel bestehen konnten, dass seine Erklärung richtig und vollständig vernommen wurde.

Der Fall in dem Forum schilderte das mündliche Angebot des Verkäufers zu einem Preis von 30 Euro zu verkaufen. Der Käufer verhörte sich und verstand 20 Euro und nahm das Angebot an. Nun bemerkte er seinen Verständnisfehler und wollte nicht zahlen.

Zunächst wäre festzustellen, ob ein Kaufvertrag zustande gekommen ist. Nach der oben genannten Theorie ging dem Käufer das Angebot über 30 Euro zu, wenn für den Verkäufer keine Zweifel am richtigen Verstehen bestanden.

Dieses Angebot hat der Käufer auch angenommen. Denn der Verständnisfehler liegt in der Sphäre des Empfängers, weshalb er die Folgen seines Verhörens tragen muss.

Wenn sich der Käufer nun weigert, den Kaufpreis zu zahlen, muss man allerdings an eine Irrtumsanfechtung denken. Der Käufer kann seine Willenserklärung, die er auf die falsch verstandene Willenserklärung abgegeben hat, dann nach § 119 I 1. Alt. BGB anfechten.

Letztlich muss man auch noch im Auge behalten, dass hier das Verbot des Reuerechts eingreifen kann:

Wenn der Verkäufer sich sofort bereiterklären sollte, auch den geringeren Betrag zu akzeptieren, wäre die Anfechtung insoweit ausgeschlossen und der Käufer müsste die 20 Euro Zug um Zug gegen die Übergabe der Kaufsache zahlen.


Literatur zum Thema


Wer sich für Übungsfälle zur Thematik „Zugang“ über die abgeschwächte Vernehmungstheorie hinaus interessiert, kann diese in meinem eBook* „Juristische Übungsfälle zum BGB AT“ finden. Dort findet sich am Ende der Fallsammlung auch der Sonderfall der Zugangsverhinderung:


Juristische Übungsfälle zum BGB AT


Hier ist ein weiterer Artikel zum Zugang zu finden


Der Zugang einer Willenserklärung und der Erklärungsbote


Hier sind weitere Artikel zum Vertragsschluss zu finden


Die falsche Preisauszeichnung im Selbstbedienungsladen

Vertragsschluss an der Tankstelle

Das Schweigen im Rechtsverkehr und das kaufmännische Bestätigungsschreiben

Vertragsschluss beim Bäcker/Metzger im Supermarkt

Wissenszurechnung nach § 166 BGB



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